03.03.2020
Rudolf Hickel

Infizierte Weltwirtschaft – Kampf gegen die Corona-Wirtschaftskrise

Das über Menschen transportierte Coronavirus hat längst die Weltwirtschaft infiziert. In China kam es zuerst in den Zentren der Produktion der Industrie, aber auch bei der Herstellung von Medikamenten für die Welt, zum massiven Produktionsstillstand. Wichtige Lieferketten in den eng getakteten internationalen Arbeitsteilungen sind unterbrochen. Insoweit sich der Erreger in anderen Ländern ausbreitet, folgen dort Produktionsunterbrechungen sowie Einbrüche bei den Gewinnen und Arbeitseinkommen. Je länger sich diese Infektion weltweit ausbreitet und kein Mittel dagegen gefunden wird, ist eine globale Wirtschaftskrise unvermeidbar. Vergleichbar der Finanzmarktkrise ab 2008 wird heute der ökonomische Rückgang durch Ängste und sich verstärkende Panik beschleunigt.

Fluch der Globalisierung?

Die neue virale Geißel widerlegt schlagartig die Ideologie von der nur wohlstandstiftenden Globalisierung. Vor allem Lohnkostenvorteile waren es, die zu kurzsichtigen Produktionsverlagerungen nicht nur in die neuen Zentren Chinas führten. Sie erzeugen hohe Krisenkosten durch unterbrochene Lieferketten. Globalisierung entpuppt sich plötzlich als Abhängigkeit und dann auch noch von Produktionsstandorten in nur wenigen Orten der Welt. Für die Corona-Pandemie besonders bitter, die Medizin, die jetzt dringend gebraucht und nur noch in wenigen Ländern wie China produziert wird, ist nicht lieferbar. Diese jüngsten Erfahrungen zwingen zur Diskussion über die extrem anfällige internationale Arbeitsteilung oftmals nur noch mit wenigen lokalen Produktionsstandorten.

Ob das Fieber der globalisierten Weltwirtschaft in eine tiefe Krise mündet, ist nur noch ein wenig unsicher. In jedem Fall ist eine global abgestimmte, ideologiefreie Politik dagegen gefordert. Denn auch das wird mit der Corona-Plage sichtbar: Gegenüber der rasanten Globalisierung bei der Übertragung des Krankheitserregers und der folgenden ökonomischen Krise der weltweiten Lieferketten fehlt es an einer globalisierten, international verbindlichen Politik. Umso wichtiger ist es jetzt, dass alle Staaten auch die Erkenntnisse der Weltgesundheitsorganisation nutzen und entschieden gegensteuern. Die EU muss sich für eine vergemeinschaftete Politik ihrer Mitgliedsstaaten gegen die medizinische und ökonomische Krise einsetzen.

Auch als einem der bisherigen Gewinner der Globalisierung ist Deutschland zu raten, ohne ideologische Scheuklappen den Kampf aufzunehmen.

Stopp der Ansteckungsgefahr

Zuerst einmal geht es um die Begrenzung der weiteren Ausbreitung dieses Virus. Dazu gehören die vielen Kontroll- und Präventivmaßnahmen. Persönliche Einschränkungen durch Quarantäne und Klinikaufenthalt dienen eben nicht nur der betroffenen Person, sondern nützen wegen der vermiedenen Ansteckungsgefahr dem Umfeld und am Ende der gesamten Gesellschaft. Vor allem aber müssen die Kliniken, Arztpraxen und die vielen anderen medizinischen Einrichtungen finanziell unkonventionell abgesichert werden. Viele Kliniken haben bereits ohne finanzielle Absicherung verantwortungsvoll gehandelt. Jetzt müssen zügig die Einrichtungen von Quarantänestationen öffentlich finanziert werden. Dazu gehört auch der Abbau der schon lange beklagten Personalengpässe im Gesundheitssystem. Besondere Hilfe verdient das ansteckungsgefährdete Personal in den Kliniken. Grundsätzlich zeigen die medizinischen Erfahrungen mit diesem Virus auch, dass ein flächendeckendes Angebot an Krankenhäusern vor allem mit öffentlich verantwortlichen und gemeinnützigen Anbietern gegen die Ideologie vom „Bettenüberhang“ beizubehalten ist.

Belege zur gesamtwirtschaftlichen Krise

Über die medizinische Eindämmung dieser Corona-Plage hinaus muss die dadurch ausgelöste ökonomische Krise bekämpft werden. Die Vorzeichen einer ansonsten zu erwartenden, allgemeinen Wirtschaftskrise bis in das Bankensystem hinein sind bereits erkennbar. Im Anlagen- und Maschinenbau stockt die Produktion in Deutschland wegen massiver Engpässe bei der Zulieferung. Die Automobilindustrie rechnet mit schwer verkraftbaren Absatzeinbußen. Medizintechnik-Konzerne wie Fresenius beklagen die Unterbrechung von Lieferketten zu den Kliniken. Gerade im Kampf gegen die Coronaviren wichtige Medizinprodukte sind durch Apotheken auch wegen der Lieferengpässe von China aus nicht mehr verfügbar. Container stehen in den Häfen auf Halde. Reedereien klagen über den Rückgang der Handelsschifffahrt. Logistikunternehmen wie auch die Fluggesellschaften sind betroffen. Massive Einbrüche beim Tourismus (Reisebüros, Hotels) werden noch zunehmen. Großveranstaltungen im Sport und andere Events sowie Messen fallen auch mit Verlusten der Kleinanbieter im Netzwerk aus. Schließlich werden mit panikhaften Hamsterkäufen die Regale im Einzelhandel geleert.

Das sind alles Belege für eine gesamtwirtschaftliche Krise mit Produktionseinbrüchen, Verlusten an Gewinnen und Arbeitseinkommen, Abbau von Jobs aber auch sinkenden Steuereinnahmen beim Staat. Dabei trifft diese Virusinfektion die deutsche Wirtschaft in einer ohnehin starken Schwächephase in Richtung Rezession. Dem Ausfall an Produktion und Arbeit folgen jetzt Einbußen bei der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Auch die Finanzmärkte bleiben gegenüber der belasteten Realökonomie nicht verschont. Viele mittel- und unmittelbar betroffene DAX-Unternehmen müssen Kursverluste hinnehmen. Die Sorglosigkeit, ja die verbreitete Illusion von den anhaltenden Kursgewinnen auf den Aktienmärkten droht in Panik umzuschlagen. Darüber hinaus sehen sich Banken mit einer wachsenden Zahl an nicht mehr bedienbaren Krediten von krisenbetroffenen Unternehmen konfrontiert. Die Gefahr eines über die Finanzmärkte getriebenen Crashs ist nicht zu unterschätzen.

Kurzarbeitergeld unkonventionell nutzen

Deshalb müssen vor allem Maßnahmen zur öffentlichen Finanzierung der Kosten der Corona-Infektion gebündelt und zur Abwehr einer sich beschleunigenden Krisendynamik konzentriert werden. Dabei geht es im Kern um die Brücken, die zum Wiedererreichen der Normalität zu bauen sind.

Aus den Erfahrungen zur Bewältigung der Finanzmarktkrise 2008/2009 muss zuallererst beschäftigungspolitische Vorsorge getroffen werden. Zur Überbrückung der Produktionseinbrüche gilt es, unkonventionell und großzügig Kurzarbeit finanziell abzusichern. Da „außerordentliche Verhältnisse“ vorliegen, sollten zur Erhöhung der Planbarkeit 24 Monate Kurzarbeitergeld (67% des Nettoentgelts durch Produktionsausfall bei Arbeitnehmern mit Kindern) der Bundesanstalt für Arbeit zugesagt werden.

Das Anti-Corona-Programm (ACP)

Im Zentrum der staatlichen Finanzpolitik steht die Forderung nach dem föderal ausgerichteten Bundes-Sonderinvestitionsfonds „Anti-Corona-Programm (ACP)“. Nach Aussagen des Bundesfinanzministeriums wären als Einstieg 50 Mrd. Euro mobilisierbar.

Daraus zu finanzieren sind:

  • Zahlungen an das Gesundheitssystem im Ausmaß der Zusatzlasten wie Quarantäne-Stationen einschließlich des Mehrbedarfs an Personal;
  • Übernahme der zusätzlichen Ausgaben für Kurzarbeitergeld an die Bundesanstalt für Arbeit;
  • Überbrückungszuschüsse für besonders betroffene Unternehmen;
  • Notkredite an Unternehmen und Zuschüsse für den Kapitaldienst;
  • Zur Stärkung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage Vorziehen des ohnehin fälligen „Zukunftsinvestitionsprogramms“ mit den Schwerpunkten zum ökologischer Umbau.

Schuldenbremse außer Kraft

Wie sollen die Kosten zur Bekämpfung der medizinischen und ökonomischen Folgen der Corona-Krise finanziert werden? In Hongkong wird zur Stärkung der privaten Haushalte eine Variante des „Helikoptergeldes“ eingesetzt. Zwar nicht mit Helikoptern übers Land verteilt, erhalten alle in der Sonderverwaltungszone einmalig 10.000 Honkong-Dollar (ca. 1.180 Euro) durch die Kommune. Sicherlich hat der unkonventionelle Geldsegen kurzfristig Vorteile. Aber diese Politik ist nicht mittelfristig und nachhaltig ausgerichtet. Deshalb wird zur Finanzierung des „Anti-Corona-Programm“ vorgeschlagen: Neben dem Einsatz von Restmitteln im Bundeshaushalt erfolgt die Finanzierung über die Aufnahme von Krediten auf den Finanzmärkten. Damit wird überschüssiges Geld in der Wirtschaft abgeschöpft und der Finanzierung des Gesundheitssystems und nachhaltiger Infrastrukturinvestitionen zugeführt. Bevor dieser Vorschlag gleich wieder mit der Schuldenbremse/schwarzen Null diskriminiert wird, lohnt sich der Blick auf den Art 115 GG.

Dort sind für die Schuldenbegrenzung des Bundes Ausnahmen von der Obergrenze (derzeit 12 Mrd. Euro) vorgesehen: Im Art. 115 GG heißt es „… Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen auf Grund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden. Der Beschluss ist mit einem Tilgungsplan zu verbinden.“

Der Finanzpolitik in Deutschland kommt im Kampf gegen den Corona-Crash die Führungsrolle zu. Denn die Geldpolitik der EZB bietet mit der aktuellen Niedrigzinspolitik kaum noch Spielraum für eine auch erfolgreiche Verschärfung der expansiven Geldpolitik mit Niedrig-, Null- und Minuszinsen.