01.08.2020
Uwe Foullong

Ohne Moos nix los

Die Lebensverhältnisse der Menschen werden sich verschlechtern, wenn die Finanzpolitik nicht grundsätzlich umgesteuert wird

  1. Die Corona-Pandemie löst eine Wirtschaftskrise aus. Wirtschaftsforschungsinstitute prognostizieren eine Schrumpfung des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von bis zu 9 Prozent. Das ist ein deutlich stärkerer Einbruch als im Krisenjahr 2009 mit minus 5,8 Prozent. Die Krise hat bereits jetzt deutlich spürbare negative Auswirkungen auf die Wirtschaft, die Beschäftigten, die (Solo)selbständigen, Künstler*innen, Student*innen. Für die Rentner*innen ist bereits für das nächste Jahr infolge dieser Krise eine Nullrunde angekündigt. Übersehen werden darf dabei aber nicht, dass es auch Krisengewinner gibt, wie z.B Unternehmen im online-Handel, die teils wie z.B. Amazon kaum oder gar keine Steuern für die Gemeinschaft leisten.
  2. Die Bundesregierung handelt. Sie legte verschiedene Sofort-, Hilfs- und auch „Zukunftsprogramme" auf, um gegen den Wirtschaftseinbruch anzugehen. Dabei hat sie über Nachtragshaushalte insgesamt 218,5 Mrd. Euro neue Kredite aufgenommen, eine Summe, die über die bestehende Obergrenze der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse hinausgeht. Vielfach wird dazu kommentiert, dass sich die Schuldenbremse überlebt hätte. Allerdings sind diese 218,5 Mrd. Euro Kredite streng auf der Grundlage des Art. 115, Absatz 2 aufgenommen worden. Diese Schuldenbremse erlaubt in Notsituationen und bei Naturkatastrophen, dass die Schuldenobergrenze überschritten werden darf, wenn für diese Schulden ein dezidierter Tilgungsplan vom Bundestag verabschiedet wird. Das ist geschehen. Diese Kredite müssen nun in den nächsten 20 Jahren getilgt werden, eine grundgesetzlich verbindliche Belastung für die kommenden Haushalte des Bundes.
  3. Die Bundesregierung hat darüber hinaus einen 600 Mrd. Euro schweren Wirtschaftsstabilisierungsfonds gebildet, der insbesondere Staatsgarantien für Verbindlichkeiten von Unternehmen und direkte Staatsbeteiligungen wie z.B. bei der Lufthansa vorsehen.
  4. Hinzu kommen weitere Milliardenbeträge für europäische Hilfsfonds und angekündigte weitere Konjunkturprogramme, die derzeit nicht genau beziffert werden können. Insgesamt, so die Schätzung der Bundesregierung, werden die zu stemmenden Krisenkosten bei ca. 1.200 Mrd. Euro liegen.
  5. In diesem gigantischen Betrag sind kaum Aufwendungen enthalten für die Lösung der vielen sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Probleme, die sich in den letzten 20 bis 30 Jahren aufgetürmt haben und die die Lebensverhältnisse vieler Menschen schon lange vor Corona verschlechtert haben, wie z.B. zu wenig bezahlbarer Wohnraum, zu wenig Pflegekräfte in Kliniken und Altenheimen, zu wenig Erzieher*innen in den Kitas, zu wenig Lehrkräfte an Schulen und Universitäten, ein grundsätzlich zu geringes Rentenniveau, zu wenig Investitionen gegen die Klimakrise, zu wenig Aktivitäten gegen die steigende Armut, insbesondere Kinder- und Altersarmut. Wenn auch diese gravierenden Mängel und Missstände nachhaltig durch ein entsprechendes soziales und ökologisches Zukunftsprogramm angepackt werden sollen, bedarf es weiterer Mittel in Höhe von mindestens 100 Mrd. Euro pro Jahr für die nächsten zehn Jahre.
  6. Zur Bewältigung der größten Wirtschaftskrise seit den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts sowie zur nachhaltigen sozialen und ökologischen Umsteuerung 2 sind gewaltige Finanzbeträge erforderlich, die mit den laufenden Steuereinnahmen keinesfalls zu decken sind. Die öffentlichen Haushalte sind angesichts der sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Probleme drastisch unterfinanziert. Einen armen Staat aber können sich nur Reiche leisten.
  7. Wir leben in Deutschland und Europa in einer der reichsten Regionen der Welt. Allein in Deutschland beträgt der private Reichtumsberg inzwischen mehr als 10.000 Mrd. Euro. Die öffentlichen Schulden dagegen betragen derzeit gut 2.200 Mrd. Euro. Der öffentliche Schuldenberg verhält sich also im Vergleich zum privaten Reichtumsberg wie die Eifel zum Mount Everest. Auch wenn die öffentlichen Schulden zukünftig die Marke von 3.000 Mrd. Euro überschreiten werden, betragen sie immer noch weniger als 1/3 des privaten Reichtumsberges. Dabei konzentriert sich das private Vermögen auf relativ wenig Menschen bzw. Familien: 10 Prozent der Bürger*innen besitzen 66 Prozent des Reichtumsberges und nur 1 Prozent der Menschen in unserer Gesellschaft besitzt 33 Prozent. Diese Konzentration ist nicht das Ergebnis von besonders tüchtigen gegenüber weniger tüchtigen Menschen, sondern sie ist das Ergebnis einer Steuerpolitik der Bundesregierungen in den letzten 20 Jahren, die eine Umverteilung von unten nach oben durch drastische Steuersenkungen insbesondere für die Oberschicht ermöglicht hat. Der Mittelstand und die Niedrigverdiener profitierten kaum von diesen Steuersenkungen und tragen überproportional die Ausgaben für die Gemeinschaft. Hinzu kommt, dass auch ertragreiche Unternehmen drastisch entlastet wurden und dass nicht wenige Unternehmen und Konzerne legal, aber auch illegal, Steuervermeidung bzw. Steuerflucht begehen, die bisher nicht konsequent genug abgestellt bzw. verfolgt wurde.
  8. Allein um nur die prognostizierten 1.200 Mrd. Euro auflaufenden öffentlichen Krisenkosten zu finanzieren, wird es zukünftig harte Verteilungskonflikte geben. Die zukünftige, aus den Wahlen 2022 hervorgehende Bundesregierung muss gemäß Schuldenbremse die Kredite aus den laufenden Haushalten tilgen. Wenn die Einnahmen des Staates nicht erhöht werden, dann sind Kürzungen in den öffentlichen Haushalten unausweichlich, um die Kreditlasten zu stemmen. Eine solche restriktivere Finanz- und Steuerpolit
  9. Eine Politik, die verbindlich und ernsthaft die Verbesserung der Lebensverhältnisse der allermeisten Menschen anstrebt, muss deshalb massiv die Einnahmeseite der öffentlichen Haushalte stärken. Die Handlungsfähigkeit von Bund, Ländern und Kommunen muss zur Lösung der vielen sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Probleme massiv ausgebaut werden. Dazu gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten
  • a) Kreditaufnahme ausbauen: Die Schuldenbremse aus Art. 15 Grundgesetz schreibt der Bundesregierung eine Kredithöchstgrenze von 0,35 Prozent des BIP vor, den Landesregierungen verbietet sie jedwede Verschuldung. Im vergangenen Jahr 2019 gab es für den Bund mit dieser Schuldenbremse einen Spielraum von etwa 12 Mrd. Euro. In diesem Jahr ist der Spielraum aufgrund der Schrumpfung des BIP mit ca. 10 Mrd. Euro geringer. Das bedeutet, dass diese Kreditobergrenze für den Bund sowie die generellen Verschuldungsverbote für die Bundesländer den Handlungsspielraum für eine aktive zukunftsorientierte Politik des sozialökologischen grundlegenden Wandels eng begrenzt und damit behindert. Die Schuldenbremse ist ökonomisch ein Irrweg. Sie gehört abgeschafft. Allerdings ist diese Abschaffung bei der notwendigen Verfassungsmehrheit von 2/3 der Stimmen in Bundestag und Bundesrat bei der fundamentalen Haltung von CDU und FDP nicht durchsetzbar. Ob diese Schuldenbremse mit CDU und FDP in dem Sinne reformierbar ist, 3 dass zumindest Investitionskredite nicht angerechnet werden, soll hier nicht vertieft werden, weil es für die gewaltigen Finanzbedarfe, die eine sozial-ökologische Umsteuerung benötigt, von unter geordneter Bedeutung ist. Umso wichtiger wird die zweite Möglichkeit der Einnahmesteigerung.
  • Einnahmen erhöhen: Steuererhöhungen für Multi-Millionäre und Milliardäre sowie für ertragreiche Unternehmen und Konzerne. Neben der (sehr begrenzten) Kreditaufnahme kann die Einnahmeseite insbesondere durch Steuermehreinnahmen gestärkt werden. Bei der Dimension der Finanzbedarfe ist deshalb eine Erhöhung der Besteuerung insbesondere von Multi-Millionären und Milliardären sowie für ertragsstarke Unternehmen und Konzerne sinnvoll und erforderlich. Niedrigverdiener und Mittelstand müssen entlastet werden, die Oberschicht soll durch die Wiederbelebung der Vermögenssteuer mit einem Freibetrag von mindestens einer Million Euro an den Gemeinschaftsausgaben gerecht beteiligt werden. Dazu gehört auch eine wirksame Erbschaftssteuer, die nicht wie derzeit die Ausnahmen zur Regel macht, sondern generell einen Teil dieses leistungslosen Einkommens für die Erben auch bei einem Freibetrag von einer Million Euro für die Gemeinschaftsausgaben heranzieht. Weitere Ungerechtigkeiten im Steuersystem, wie z.B. die Abschaffung der Abgeltungssteuer, die Kapitaleinkünfte gegenüber Arbeitseinkünften begünstigt, sind genauso notwendig wie die Einführung einer echten Transaktionssteuer für Finanzspekulationsgeschäfte, weil es nicht einzusehen ist, dass jede/r Bürger/in Mehrwertsteuer für seine/ihre Einkäufe bezahlen muss, aber auf den Finanzmärkten viele Finanzgeschäfte davon verschont bleiben. Insgesamt gibt es ein umfassendes Steuerkonzept von ver.di und DGB, das Niedrig- und Durchschnittseinkommen entlastet und die Hyperreichen angemessen an den Gemeinschaftskosten beteiligen will. Dazu gehören auch die Forderungen, Steuerschlupflöcher nachhaltig zu schließen und die Steuerkriminalität ernsthafter zu bekämpfen als derzeit.
  1. 0. Eine solche offensive Finanz-und und Steuerpolitik ist eine dringend notwendige Voraussetzung und Grundlage für eine sozial und ökologisch ausgerichtete Politik. Forderungen zur Verbesserung der Lebensverhältnisse der meisten Menschen wie z.B. zum bezahlbaren Wohnen, zu mehr Kitaplätzen, besserer Erziehung, Bildung, Pflege, Gesundheit, Infrastruktur oder der Bewältigung der Klimakrise kosten viel Geld, das die öffentlichen Haushalte derzeit in der notwendigen Dimension nicht haben. Deshalb können solche Forderungen nur ernsthaft formuliert werden, wenn man deren Finanzierung sicherstellt. Im Wahlkampf wird vermutlich von verschiedener Seite wieder zu hören sein, dass gewisse Forderungen unter dem Finanzierungsvorbehalt stehen. Wer das formuliert, meint es nicht ernst mit den Forderungen. Diese fehlende Glaubwürdigkeit, wer immer sie formuliert, müssen wir aufdecken. Und dazu gehört das Engagement z.B. mit einer Kampagne, darauf zu drängen, dass die neu zu wählende Bundesregierung ganz besonders ein Paket zu Steuererhöhungen für die Hyperreichen und ertragsstarken Unternehmen auflegt. Die Forderung nach Zurück-Verteilung von oben nach unten ist die notwendige Grundlage für eine nachhaltige Politik der sozial-ökologischen Transformation, für eine Politik, die die Lebensverhältnisse der allermeisten Menschen verbessert. Die Erhöhung der Steuern für Multi-Millionäre und Milliardäre ist deshalb eine der wichtigsten Forderungen gegenüber der Politik und der neu zu wählenden Bundesregierung, weil nur dadurch die Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft zur Lösung der vielfältigen Probleme und Verbesserung der Lebensbedingungen gegeben ist. Ohne Moos nix los!