16.12.2021
Interview mit Rudolf Hickel / Weser-Kurier

Zukunft des Bargeldes unter dem Druck der Digitalisierung des Zahlungsverkehrs und der Kryptowährungen

Gekürzt erschienen im WESER-KURIER vom 16.12. 2021 (Interviewerin: Sophia Allenstein)

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Herr Hickel, laut einer jüngst veröffentlichten Umfrage des Instituts für Demoskopie in Allensbach zahlen mehr als die Hälfte aller Deutschen unter 60 Jahren am liebsten bargeldlos. Wie lautet Ihre Prognose zur Zukunft des Bargelds in Deutschland?

Der Trend ist unübersehbar: Die Republik ist zwischen der digital affinen jüngeren Generation gegenüber den Alten mit der Erinnerung an zwei Währungskatastrophen gespalten. Digitale Bezahlformen nehmen zu. Ja, die Europäische Zentralbank plant neben den Banknoten eigens ein Digitalgeld. Dennoch, das Bargeld wird abgespeckt fester Bestandteil unseres Geldsystems bleiben. Es gibt ein schlagendes Argument aus einer neuen Studie zum Zahlungsverhalten 2020 durch die Deutsche Bundesbank, die in der Bevölkerung nachgefragt haben, wie viel Bargeld in den privaten Haushalten in Deutschland im Umlauf ist. Das Ergebnis bestätigt mich mit meiner These von der tiefen Restliebe zum Bargeld.

Was meinen Sie damit?

In Deutschland haben private Haushalte durchschnittlich 1364 Euro Bargeld zu Hause. Wir nennen das auch Horten, das in der Pandemiekrise noch zugenommen hat: Das Geld, was man früher unter dem Kopfkissen hatte oder im Keller: 268 Milliarden Euro Bargeld lagen im letzten Jahr in Deutschland auf der hohen Kante. Das drückt die ganze Skepsis aus – die Vorsicht gegenüber Krisen, die kommen könnten.

Was spricht denn für das Bezahlen mit Schein und Hartgeld?

Von dem russischen Schriftsteller Fjodor Dostojewski stammt das Wort „Geld ist geprägte Freiheit“. Das Bargeld ist die letzte Möglichkeit, die es noch gibt, unkontrolliert, ohne Buchungsvorgänge, ohne Nachverfolgung insgesamt Geld auszugeben. Warum auch Wirtschaftswissenschaftler für die Erhaltung des Bargelds sind: Würde Bargeld abgeschafft, wären wir komplett abhängig vom Bankensystem. Dann liegt unser Geld nur noch bei der Bank.

Jegliches Vermögen würde dann nur noch elektronisch existieren. Warum wäre das problematisch?

Wenn die Banken den Strafzins für ihre Einlagen an die Kunden weitergeben, dann ist es nicht mehr möglich, auch aus Protest das Ersparte abzuheben. Die Abschaffung des Bargelds schafft die totale Abhängigkeit vom Bankensystem und damit auch von der Notenbank.

Im Vergleich zu anderen Ländern läuft das Bezahlen mit Smartphone und Karte in Deutschland eher schleppend. Welche Länder nehmen international eine Vorreiterrolle ein?

China ist mit dem digitalen Bezahlsystem an der Spitze. Wichtig ist das mit der Handels- und Kommunikationsplattform Alabama verbundene Digitalgeld ALIPAY. In China ist elektronisches Bezahlen unglaublich weit verbreitet. Es gibt das berühmte Beispiel 2 vom Bettler, der auf der Straße sitzt und dem man per QR-Code Geld spenden kann. Die Basis ist die massenhaft verbreitete Smartphone-Technologie. Das detailliert kontrollierbare elektronische Geldsystem passt zum Überwachungsstaat.

Wie sieht die Situation in Europa aus?

Schweden macht nur noch 15 Prozent aller Geldumsätze mit Bargeld, alles andere wird digital bewältigt. Die Menge von Noten und Münzen im Umlauf ist dort um 40 Prozent seit 2012 gesunken. Der elektronische Klingelbeutel in der Kirche steht für den Digitalwahn. Ich denke, wir sollten daraus nicht ableiten, dass in Deutschland alles so laufen sollte wie in Schweden.

Könnte denn elektronisches Bezahlen, zumindest in manchen Lebensbereichen, in Deutschland alternativlos werden?

Nein, das sehe ich nicht. Die Verfügung über Geld wird vor allem durch das Smartphone immer mehr revolutioniert. Aber das Bargeld selbst wird seine Relevanz haben.

Ich stelle mir das so ähnlich vor, wie mit dem gedruckten Buch. Das auch nicht komplett vom Markt verschwindet, nur, weil es digitale Alternativen gibt. Beides koexistiert, und es gibt eher digitale und eher analoge Nutzergruppen.

Gutes Beispiel. Die Koexistenz von Bargeld, bargeldlosem Zahlungsverkehr und digitalem Geld der Notenbank sowie den dezentral von Rechner zu Rechner verbuchten Kryptowährungen, mit denen spekuliert wird, ist gewiss. Die Psychologie des Geldes unterstreicht die Unsterblichkeit des Bargelds. Hier zählt die Sinnlichkeit des stofflichen Geldes. Bargeld „streicheln“ zu können, schafft auch Vertrauen in die Währung. Mir fällt hier die schräge Figur Dagobert Duck ein, der in seinem Geldsilo badet. Bargeld ist Symbol des jederzeit verfügbaren Reichtums durch das hohe Gut unkontrollierter Zahlungsfähigkeit ohne Abhängigkeit vom Bankensystem.“

Digital zahlen können Kunden auch über Kryptowährungen. Werden diese Ihrer Einschätzung nach in den nächsten Jahren stärker Verwendung finden oder ist der größte Hype vorüber?

Wichtig ist, die heutigen digitalen Pay-Methoden werden auch mit den neu gegründeten FinTech-Unternehmen immer noch im System der Banken und unter der Verantwortung der Notenbank abgewickelt. Das haben sie mit dem Bargeld gemeinsam. Dagegen stehen die vielen Kryptowährungen, wie die Bitcoins. Genauer gesagt, das sind keine Währungen. Es sind Kryptocoins ohne jegliche Sicherung und Bindung an die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung. Klar ist, es handelt sich ausschließlich um ein Spekulationsprodukt. Natürlich lassen sich da hohe Spekulationsgewinne kassieren. Auf der anderen Seite stehen Verluste bis hin zum Zusammenbruch dieses Digitalgeldes. Die sog. Kryptowährungen werden als Zahlungsmittel und bei den Preisen im Geschäft meiner Meinung nach keine Rolle spielen. Übrigens ist das Kriminalitätspotenzial dieser unkontrollierten Blockchain-Systems riesig. Das komplette anonyme und unkontrollierte fiktive Geld ist die Münze, mit der im kriminellen Dark Net bezahlt wird. Gegenüber der bekämpfbaren Geldwäsche mit dem heutigen Bargeld ist der kriminelle Missbrauch dieses total unkontrollierten Bezahlsystems viel größer.