22.05.2023
Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik

Axel Troost, unser Memo-Kopf ist nicht mehr unter uns!

Rudolf Hickel, Nachruf auf den wissenschaftlich fundierten linken Kämpfer für sozi­ale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit

Axel Troost hat den Kampf gegen eine heimtückische Krankheit nicht gewonnen. Im wahrsten Sinne des Wortes ist er mitten aus der wis­senschaftlichen und politischen Arbeit herausgerissen worden. Noch vom Krankenbett aus hatte er sein neues Buchprojekt über die Kipp­effekte der Gesellschaft und hier insbesondere über das sozi­ale Gift Inflation im Kopf. Auch war schon die Einladung der „Arbeits­gruppe Al­ternative Wirtschaftspolitik“ zur Arbeit am neuen „Memo­randum 2023“ in der Ver.di-Bildungsstätte „Buntes Haus“ am Ende Januar fer­tig. Die substantielle Vorbereitung steht auch als Beispiel für sein be­gnadetes Organisationstalent. Immer an den Inhalten einer „Alterna­tiven Wirtschaftspolitik“ ausgerichtet, hat er die Memo-Gruppe ge­gen alle Widrigkeiten seit 1981 zusammengehalten. Drei Mal im Jahr rief er die „Ar­beitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“ nach Senne­stadt. Hinzu kam die jährliche Sommerschule, bei der die Memo-Posi­tionen im Rahmen eines interaktiven Bildungsseminars aufgearbeitet wur­den. Die Öffentlichkeitsarbeit für unser Produkt der sozial-ökono­mischen Beratung wurde von ihm vorangetrieben. Der großartige Macher tauchte kaum in den Medien auf. Das war ein Be­weis dafür, dass er nicht eitel, gar „mediengeil“ war. Seine Eitelkeit zeigt sich in der unglaublichen Hartnäckigkeit seiner Arbeit, mit de­nen er uns alle auf Trapp gehalten hat.

Aber die Memo-Gruppe reicht ihm für seine politische Arbeit nicht aus. Er wollte am Ende auch als erfolgreicher Abgeordneter der Par­tei DIE LINKE Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung nehmen. Dazu gehörte auch seine aktive Arbeit als Gründungsmitglied des „Institut soziale Moderne“, das einen breiteren Zugang vor allem zu gesellschaftspolitischen Themen sicherte. 

Axel Troost war im besten Sinne ein moderner linker Polit-Ökonom, der ideologische Rechthaberei auch innerhalb der Linken verabscheut hat. Für ihn stand die kritische Aufklärung über die profitwirtschaftli­che „Mainstream Economics“, die Rechtfertigungslehren über den scheinbar alternativlosen Kapitalismus verbreitet hat. Ihm ging es um eine Wissen­schaft, die einer sozial gerechten und ökologisch nachhal­tigen Wirt­schaft dient. Als Wissenschaftler war ihm durchaus die Marxsche Analyse der kapitalistischen Gesellschaft mit dem systemi­schen Wi­der­spruch zwischen Kapital und Arbeit wichtig. Er selbst hätte sich jedoch nie als Gralshüter des Post-Marxismus bezeichnet. Seine „Anatomie des Kapitalismus“ basierte im hier und heute der profitwirtschaftlich erzeugten Fehlentwicklungen. Er wandte er sich gegen die Naivität, heutige Erfordernisse eins zu eins aus teil erstarr­ten, marxistischen Grundwahrheiten ab­zuleiten. Gegen die Praxis ge­stanzter lin­ker Gewissheiten hat er seine Theorie des Kapitalismus empirisch fundiert und den realen Verhält­nissen angemessen selb­ständig wei­terentwickelt. Dies verschaffte ihm eine wertvolle dialogi­sche Offenheit, die im auch viel An­erkennung vom politischen Gegen­über eingebracht hat.

Wissenschaft als abgeschiedene Veranstaltung im universitären El­fenbeinturm hat er verpönt. Vielmehr ist sie nach Axels Grundüber­zeugung verpflichtet, der gerech­ten und ökologisch verantwortlichen Gesellschaft zu dienen. Und dazu gehört auch sein entschiedenes po­litisches Engagement in den Untiefen des Alltags. Er war bei der Gründung der Wahlalternative „Arbeit & soziale Gerechtigkeit“ -  zu­erst in Bremen - dabei. Nach der Verschmelzung innerhalb der Partei „Die Linke“ übernahm er ein Bundestagsmandat (2005-2017 und 2021) und brachte seine hoch geschätzte Fachkompetenz im Finanz­ausschuss ein. Aber sein Parteiengagement reichte ihm nicht. Er ver­knüpfte sein Abgeord­netenmandat mit Aktivitäten in außerparlamen­tarischen Be­wegun­gen. Neben seinem Engagement als Geschäftsfüh­rer der Memo-Gruppe war er auch als Manager kritischer wirtschafts­wissen­schaftlicher Beratung tätig. Dazu zählte die Gründung des „Progress-Instituts für Wirtschaftsforschung (PIW)“. Das PIW hat pio­nierhafte Studien auch zur Regionalpolitik vorgelegt – etwa zur Zu­kunft der maritimen Wirtschaft an der Nord- und Ostsee. Sein Enga­gement für die nach der deutschen Einigung erforderliche Wirt­schaftsstrukturpolitik kon­zentrierte sich auf das „Büro für Struk­tur­forschung“ in Rostock. Heute sind wissenschaftlich unterstützte Pro­jekte zur Stärkung der ökologisch verantwortlichen Regionalwirt­schaft in Mecklenburg-Vorpommern zu wirksam.

Wissenschaftlich und politisch wirksam hinterlässt Axel Troost be­deutsame Erkenntnisse und nachwirkende Erfolge:

  • Bereits in seiner epochalen Dissertation über die ökonomisch-fiska­lischen Grundlagen der Staatsverschuldung, die er 1982 aus Marburg an die Universität Bremen mitbrachte, hat er seiner Zeit weit vo­raus die Weichen der Kritik an der Schuldenbremse gestellt.
  • An der Universität Bremen war er maßgeblich im Forschungsprojekt zur Reform des Finanzsystems des föderalen Bundesstaates aktiv. Dieses Thema griff er als Bundestagsabgeordneter in den Kommissio­nen „Föderalismusre­form I und II“ zur verfassungsrechtlichen Umge­staltung der Finanzor­dnung wieder auf. Allerdings konnte er die Schuldenbremse, seiner Zeit als vorausschauender Mahner gegen den da­mals übermächtigen neoliberalen Zeitgeist nicht verhindern. Die heutigen Eiertänze um die Schuldenbremse herum, zu der jetzt die Sonderfonds gehören, hätten sich mit Axels finanzpolitischem Credo von der ökonomisch machbaren und ökologisch erforderlichen Nutzung öffentlicher Kreditaufnahme im Dienste der Zukunftsgestal­tung erübrigt.
  • Sein Einfluss auf die Umsetzung zumindest einiger Regulierungen auf den Finanzmärkten nach dem Beinahezusammenbruch des Fi­nanzsystems (2008/2009) ist unbestreitbar. Als Mitglied im Finanz­ausschuss des Deutschen Bundestages hat er sich für einen stärkeren Verbraucher­schutz sowie die Bändigung der komplett unverantwort­lich eingesetz­ten Macht der Banken eingesetzt. Hierzu bekam er viel Zustimmung von Kolleginnen und Kollegen vor allem aus der SPD und vom Bündnis 90/Die Grünen.
  • Axel Troost hat seine wissenschaftliche Kompetenz und sein politi­sches Engagement auf ein sozial gerechtes und ökologisch nachhalti­ges Europa konzentriert. Dafür steht sein Kampf um eine solidarische Währungsunion, der auch in vielen seiner Beiträge Niederschlag ge­funden hat. Er hat sich persönlich gegen die Unterwerfung Griechen­lands unter die neoliberale Politik der Troika zur Wehr gesetzt – die­ser Dreieinigkeit von Europäische Zentralbank (EZB), Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Kommission (EU). Als die durch die Austeritätspolitik von Wolfgang Schäuble ausgelöste Armut in Griechenland schreckliche Ausmaße angenommen hatte, war er mit Solidaraktionen vor Ort aktiv.
  • In den letzten Monaten konzentrierte sich seine Arbeit auf die Ursa­chen und die sozial spalterische Wirkung der Inflation zu Lasten vor allem der Armen und unteren Einkommensbezieher. Während in der allgemeinen öffentli­chen Debatte der importiere Angebotsschock über die Energiepreise betont wurde, hat er auch die monopolisti­sche Preistreiberei kriti­siert. Gegen das Szenario von der „Lohn-Preis-Spirale“ sprach er von der durch die Marktmachtunternehmen getrie­benen „Preis-Preis-Spi­rale“ und damit dem neuen Typ einer „Gierfla­tion“ (Greedflation für die in den USA während der jüngste Krise kas­sierten Monopolgewinne).

Axel Troost hat für seine Positionen mit unterschiedlichen Medien geworben. Eine Vielzahl von Publikationen sind in seiner Funktion als „Senior Fellow für Wirtschafts- und Europapolitik bei der Rosa-Lu­xemburg-Stiftung (RLS) veröffentlicht worden. Hinzu kommen seine medialen Auftritte allerdings weniger in den inszenierten, streng vor­sortierten Talkshows, sondern auf der Ebene der Vor-Ort-Initiativen. Auch in den durch die Corona-Krise verhinderten Präsenzveranstal­tungen war er per Video-Übertragung in der Diskus­sion. Was jetzt schon fehlt, ist sein Newsletter an über eintausend Personen. Bei den sonst sehr schwer zugänglichen Texten, die der Newsletter anbot, wurden auch schon mal nur sehr eingeschränkt zu­gängliche Positi­onspapiere der Bundesregierung und Ministerien an­geboten.

Axel Troost gehört zu der Spezies für eine moderne linke Polit-Ökono­mie, die sich nicht zu schade sind, auch kleine Reformschritte zu wa­gen. Dies bewies er vor allem mit seinem Einfluss auf die refor­mierte Regulierung der Finanzmärkte. Ihn konnte der Vorwurf, das sei al­les nur ein trostloser Inkrementalismus, der am Ende die kapi­talisti­schen Herrschaftsverhältnisse stabilisiert, nicht erschüttern. Es ging ihm, wie es einmal Karl Marx zu den (kleinsten) Erfolgen der Lohnpo­litik geschrieben hat „um den Sieg des Prinzips“. Dieser linke Pragma­tis­mus hat jedoch nichts mit Opportunismus zu tun. Er erreichte da­mit auch eine Dialogfähigkeit zugunsten linker Positio­nen.

Oftmals kam die Frage auf, woher Axel Troost die unendliche Kraft für sein giganti­sches Engagement für eine gerechte Gesellschaft ohne diszipli­nierende Machtkonzentration nimmt. Selbst wenn er mal pol­tern musste, Humanität und soziale Kompetenz prägten durch und durch seinen Charakter. Viele werden sich jetzt erinnern, dass er ge­rade denjenigen, die in prekäre Ar­beitsverhältnisse gezwungen wur­den, geholfen hat. Seine Kraft schöpfte er aus seiner geliebten Fami­lie, seiner Frau, seiner Tochter und seinem Sohn.

Axel Troost ist nicht mehr unter uns. Allerdings gilt dies nicht für sein Werk, das er uns hinterlassen hat. Und wie die vielen Trauerbekun­dungen und Nachrufe belegen, er war ein unverzichtbarer Netzwer­ker für den gesellschaftlichen Fortschritt.

Nicht nur die Linke in Deutschland kann von ihm, der seine Gegner im rationalen Diskurs res­pektiert hat, lernen. Insoweit war ein Unikat, eine einmalige Persönlichkeit.  Er ist nicht ersetzbar. Aber mit ihm als unser überwältigendes Vorbild muss und will die „Arbeits­gruppe Al­ter­native Wirtschaftspolitik“ in seinem Geiste die Arbeit für linke Wirtschaftspolitik fortsetzen.