22.02.2023
Rudolf Hickel

Tarifkonflikt öffentlicher Dienst Bund und Kommunen

Kurzfassung in der Frankfurter Rundschau[1] vom 20.02.2023:

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Lohnverhandlungen sind derzeit auch noch wegen der mehrfachen, sich wech­selseitig verstärkenden Krisen nicht einfach. Dennoch gibt es im Kern An­forde­rungen an die Tariffindung, die unter dem aktuellen Multiproblem­druck nicht über Bord geworfen werden sollten. Dies gilt ebenso für den öffent­lichen Dienst, dessen Beitrag zur ökonomischen Wertschöpfung und sozialen Stabilität nicht erst seit der Corona-Krise unübersehbar ist. Jetzt lautet die For­derung der Gewerkschaften an den Bund und die Kommunen, für die Laufzeit von einem Jahr die Arbeitsent­gelte um 10,5% zu erhöhen, jedoch einen Mindestanstieg über 500 € zu sichern.  Die Ausbildungsvergütungen und Praktikantenentgelte sollen um 200 € monatlich angehoben werden. Ist das gegenüber der Not vieler öffentlicher Haushalte zu verantworten?  Zur Antwort braucht es die Bereit­schaft, frei von der grundsätzlich neoliberalen Abwertung öffentlicher Dienst­leistungsproduktion die Lage der Beschäf­tigten mit ihrem Beitrag zur gesell­schaftlichen Wertschöpfung zu begreifen.

Für wen wird verhandelt?
Ver.di führt die Verhandlungen über den Tarifvertrag im öffentlichen Dienst (TVöD) beim Bund und den Kommunen gemeinsam für GdP, GEW, IG BAU sowie dem „dbb beamtenbund und tarifunion“. Betroffen sind rund 2,5 Milli­o­nen Beschäftigte im öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen. Von dem Tarifabschluss betroffen sind u.a. die Berufe in den Produktionsbereichen: Müllwerk, Erziehung (vor allem Schulen und Kitas). Krankenpflege, Busange­bote, Altenpflege, Klärwerke, Försterei, ärztliches Angebot. Nach den Vorstel­lungen der Gewerkschaften soll das Tarifergebnis zeit- und wirkungsgleich auf Beamtinnen und Beamte, Richterinnen und Richter, Soldatinnen und Soldaten sowie auf Versorgungsempfängerinnen und –empfänger übertragen werden.

Ak­tuell steht bei der Tarifforderung der massive Verlust an Kaufkraft durch die hohe Inflation im Mittelpunkt. Dazu kommt die Tatsache, dass die dadurch er­zeugten Wohlstands­verluste bei den unteren Einkommensbeziehern wegen des hohen Anteils der Kosten für Energie und Nahrungsmittel im Warenkorb mehr belasten als bei Ein­kommensstarken. Zum Ausgleich dieser sozialen Ungerech­tigkeit durch Infla­tion fordern die Gewerkschaften einen Mindestbetrag von 500 € mehr an Lohn.

Gegenüber der 10,5%-Forderung propagieren die marktfundamentalistischen Hardliner eine Lohnpause. Dadurch würden sich die Existenz belastenden, realen Verluste der Arbeitseinkommen besonders auf die gestressten Beschäftig­ten im öffentlichen Dienst konzentrieren. Dagegen reicht der Vorschlag von Bundes­kanzler Olaf Scholz (SPD) einer abgabenfreien Einmalzahlung auch nicht aus. Denn es geht um die tabellenwirksam gewollten Lohnerhöhungen als Basis für die künftige Lohnentwicklung. Auch wegen des Wettbewerbs um Ar­beitskräfte, die Beschäf­tigten beim Bund und den Kommunen dürfen nicht von den Bedingungen der marktbezogenen Privatwirtschaft entkoppelt werden. Ta­rifpolitik ist keine Schönwetterveranstaltung. Jetzt kommt es darauf an, per Ta­rifpolitik für „gute Arbeit“ zur Moti­vation der arg belasteten Beschäftigten bei­zutragen. Hinzu kommt die Stärkung der Binnenwirtschaft durch kaufkraft­fähi­ges Einkommen auch im öffentlichen Dienst.

Selbstverständlich orientiert sich die Tarifforderung an den Bund und die Kom­munen an der Entwicklung der den realen Wohlstand mindernden Inflationsrate vor allem im letzten Jahr. Die für dieses Jahr vor­liegenden Prognosen gehen ins­gesamt von einem Geldwertverlust bis 7 Prozent aus. Einfluss auf die Tariffor­derung hat aber auch der dringliche Nachholbedarf wegen der vorangegangenen Reallohnverluste: Nach den Reallohnverlusten 2020 und 2021 sind die Nominal­löhne im ver­gangenen Jahr für die Gesamtwirtschaft mit 3,4% gestiegen. Die In­flationsrate von 7,9 % hat jedoch die realen Einkommen um 4,5% dezimiert. Für die Beschäftigten beim Bund und bei den Kommunen sind infolge des für 28 Monate festgeschriebenen letzten Tarifvertrags von 2020 im Jahr 2022 die Ent­gelte letztmalig um 1,8% erhöht worden. Wegen der steigenden Inflationsrate kam es zu deutlichen Reallohnverlusten. Der aktuellen Tarifpolitik stellt sich also die Aufgabe, die aufgestauten Vertei­lungsverluste der Beschäftig­ten zu re­duzieren. Die Sorge, durch diese Lohnpolitik könne ein weiterer Inflati­onsan­stieg folgen, ist unbegründet. Nicht die Lohnpreis-Spirale, sondern die durch monopolistische Unternehmen durchgesetzte Preis-Preis-Spirale ist das Prob­lem. Es droht auch keine inflationstreibende Übernachfrage. Viel­mehr muss die binnenwirtschaftliche Nach­frage durch die gerechte Verteilung der Löhne und Gewinne gestärkt werden. Schließlich gilt es, heute auch die Rechnung für den Verlust an guter Arbeit im öffentlichen Dienst durch andauernde Ein­sparrunden zu begleichen. Die Lohnfor­mel dient dazu, den Abstand ge­genüber der Privat­wirt­schaft abzu­bauen und den öffentlichen Dienst für Fach­kräfte attraktiv zu ma­chen.

Grobe Schätzungen gehen von einer Belastung der Kommunen durch die Tariffor­derungen mit über 15 Mrd. € aus (beim Bund rund 1,4 Mrd. €). Niemand be­zweifelt, viele Kommunen leiden unter defizitären Budgets. Mit der Ablehnung der gewerkschaftlichen Lohnforderung die Verantwortung für die Haus­haltskrise den Beschäftigten zuzuschieben, erinnert an einen Trugschluss. Viel­mehr müssen die Kommunen fiskalisch im System des föderalen Mehrebe­nen­staates besser ausgestattet werden. Zusätzliche öffentliche Investitionen zum Abbau von aus­gestauten Defiziten und zum sozial-ökologischen Umbau dürfen auch nicht mangels Finanzierbarkeit auf kommunaler Ebene gestrichen wer­den. Die Sicherung ausreichend entlohnter Beschäftigter hat jetzt Priorität. Zum Abbau der Unterfinanzierung der Kommunen dient auch eine gerechte Steuerpo­litik. So könnte mit einer Vermögensteuer, die in die Kassen der Länder fließt, die fiskalische Ausstattung der Kommunen über Zuweisungen gestärkt wer­den. Denn auch die Länder, die bisher ihre Haushalte durch eine unzureichende Fi­nanzausstattung der Kommunen entlastet haben, sind in der Pflicht, deren Fi­nanzbasis zu stabilisieren. Und der Bund muss seine Hilfen für kommunale In­vestiti­onsprogramme und die Finanzierung der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen ausbauen.

Diese Ta­rifrunde wird am Ende über die Anerken­nung des Wertschöpfungsbei­trags der Erwerbsarbeit beim Bund und den Län­dern entscheiden. Eine kluge Lösung des Tarifkonflikts zugunsten der Attrakti­vität der Arbeit im öffentlichen Dienst lohnt sich!

Links:

  1. https://www.fr.de/meinung/fachkraefte-anziehen-92097089.html