25.11.2023
Rudolf Hickel

Kritik Schuldenbremse von Anfang an – Pionier Axel Troost

Nachdem die Kritik an der Schuldenbremse unter dem Druck ihrer unübersehbaren Ausbremsung für die Zukunft an Breite gewinnt, ist der Rückblick unvermeidbar: Die „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“ hat seit dem Start der „Föderalismuskommission II“ im März 2007 die Schuldenbremse analytisch fundiert und empirisch abgesichert kritisiert. Plädiert wurde für die Beibehaltung der „goldenen Regel“, die die Kreditfinanzierung von Investitionen ermöglicht, damit jedoch den Einsatz für Konsumausgaben komplett ausschließt.

Axel Troost, großartiger Chefmanager der Arbeitsgruppe, hat als Abgeordneter für „Die Linke“ in der „Förderalismuskommision II“ und im „Finanzausschuss“ des Deutschen Bundestages unter Nutzung der Erkenntnisse der „functional finance“ mit deren Nestor R. A. Musgrave vor den Gefahren infolge des Verbots kreditfinanzierter Zukunftsinvestitionen gewarnt. Er war es auch, der die „außergewöhnlichen Notlagen“ als Grund für das Aussetzen der Schuldenbremse in die Grundgesetzänderung eingebracht hat. Nach der Etablierung der Schuldenbremse im Mai 2009 in der Verfassung hat die „Arbeitsgruppe“ auch auf der Basis ihrer vorangegangenen Analysen zu den Staatsschulden immer wieder diese Schuldenbremse, die die Handlungsfähigkeit des Staates ausbremst, kritisiert. Anfangs traf dafür die „Memo-Gruppe“ der Bannstrahl durch die übermächtige Mainstream-Finanzwissenschaft. Parteipolitisch waren es allerdings nicht nur die CDU/CSU und SPD in der Großen Koalition, sondern vor allem auch das „Bündnis 90/Die Grünen“, die aus der missverstandenen Sorge um die Erblast künftiger Generationen für das Verbot der Kreditfinanzierung beim Bund und den Ländern ziemlich aggressiv kämpften. Mittlerweile ist bei der SPD und den „Grünen“ eine finanzpolitische Zeitenwende zu erkennen. Beispielhaft dafür ist die Rede von Robert Habeck auf dem Parteitag von „Bündnis 90 /Die Grünen am 23. November 2023 in Karlsruhe. Sein glühendes Plädoyer für die goldene, nach seinen Worten eher grüne Regel stimmt mit der von Anfang an geübten Kritik der Memo-Gruppe an der Abschaffung des parlamentarischen Rechts, Kredite für öffentliche Infrastrukturinvestitionen einzusetzen, überein.  Auch in der Wirtschaftswissenschaft setzt sich endlich finanzpolitische Vernunft durch. Dafür steht die kluge Argumentation von Michael Hüther vom „Institut der deutschen Wirtschaft“. Allerdings greift die Begründung, infolge der Klimakrise sei die Schuldenbremse „aus der Zeit gefallen“ zu kurz. Vielmehr offenbart sich heute besonders stark das von Anfang schädliche Verbot der Kreditfinanzierung von Zukunftsinvestitionen in alle Bereiche der Infrastruktur.

Auf die Geschichte der Schuldenbremse zurückblickend, lässt sich festhalten:

Es lohnt sich, die „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“ ernst zu nehmen.

Der Urteilsspruch durch das Bundesverfassungsgericht zu den vom Corona-Topf in den „Klima- und Transformationsfonds“ umgebuchten Kreditermächtigungen über 60 Mrd. € durfte nicht über­raschen. Nicht der Spruch aus Karlsruhe, son­dern das durch die CDU/CSU – SPD-Koalition unter vehementem Druck der GRÜNEN aus der Opposition ge­wollte Kreditverbot ist das Urproblem. Anstelle der zuvor praktizierten „golde­nen Regel“ zur Finanzierung öffentlicher Investiti­onen durch öffentliche Kredite gilt seit 2009: Den Bundesländern ist der Einsatz von Neuschulden komplett verbo­ten. Dem Bund wird nur noch ein Deckel für strukturelle Schulden mit 0,35 Pro­zent vom Bruttoinlandspro­dukt (2022 sind das 13,5 Mrd. €) zugestanden. Im­merhin ist vom Grundgedan­ken der gegen Konjunkturkrisen steuernden Finanz­politik etwas übrigge­blieben. Der Staat darf allerdings nur in Zeiten der kon­junkturellen Krise kurzfristig kreditfinanziert in­tervenieren. Diese Beschränkung der Schuldenbremse im Ausmaß der Konjunk­turkomponente sowie das grundsätzliche Verbot von öffentli­chen Zukunftsin­vestitionen offenbart das ab­sehbar Elend mit der Schuldenbremse. Ge­genüber den heutigen Herausforde­rungen durch die Mehrfachkrisen, überlagert von der Klimakrise, wirkt das Kreditverbot am Ende krisentreibend.  Parlamenten ist das Recht genom­men worden, über die Kreditfinanzierung öffentlicher Investitio­nen zu ent­scheiden. Davon betroffen sind Investitionen selbst in die In­standhal­tung der Infrastruktur sowie in die Zukunft gerichtete Kreditprogramme wie für Bildung, Digitali­sierung, Wohnungsbau und vor allem Klima­schutz. Diese Ausga­ben alternativ über Steuererhöhungen und / oder Ausga­benkürzungen zu fi­nanzieren, stößt an hochgradig gefährliche systemische Grenzen. Bei der Suche nach den Moti­ven für die Schuldenbremse rückt der populistischen Mythos in den Mittelpunkt: Nachfolgenden Generationen würde durch die heutigen Staatschulden eine un­bewältigbare Erblast übereignet. Das Gegenteil ist je­doch der Fall. Mit den heute getätigten Investitionen in die Zukunft wird die Politik nachfolgenden Gene­rationen durch die Schaffung nachhal­tiger Vermögenssub­stanz gerecht. Es sind die dadurch erzeugten modernen Produktionsverhält­nisse, aus denen die nach­folgenden Generationen die Zinszahlungen und Til­gung für die Staatschulden erwirtschaften werden.  Diese Politik der Generatio­nengerechtigkeit ist alterna­tivlos. Denn durch den Verzicht auf kreditfinanzierte Investitionen in die Zu­kunft würden zuerst die Reparaturkosten massiv steigen und am Ende wären die Klimaschäden nicht mehr reparierbar.

Die Finanzpolitik bewegt sich heute unter dem Regime der Schuldenbremse in dem Widerspruch, unverzichtbar Sinnvolles nicht tun zu können, weil die schädliche Entwicklungsbremse Kreditverbot dies verbietet. Aus dieser sich schon lange entfaltenden Not haben viele Bundeslän­der vor allem durch die Beanspruchung von Ausnahmen vom Kreditverbot auch durch mehrere Sonder­fonds fieberhaft einen Ausweg gesucht. Die im Grundgesetz zugelassenen Aus­nahmen für öffentliche Investitionen vor allem „au­ßergewöhnlicher Notsituati­onen“ sind extensiv genutzt worden. Seit der Coronakrise, nachfolgend ver­stärkt durch neuen Krisenherde im Bereich Energie infolge des Ukraine-Kriegs, Klima, aber auch Globalisierung ist heute die Ausnahme von der Schulden­bremse eher die Regel. Jetzt hat das Bun­desverfassungsge­richt die­ser teilwei­sen Schuldentrickserei ein Ende gesetzt. Die rote Karte für die Um­widmung von Mitteln aus dem Corona-Topf in den „Klima- und Transfor­ma­tionsfonds“ wirkt sich auf alle, mehrjährig angelegten, per Kredit finanzierte Investitionsprojekte aus. So trifft es auch den „Wirtschaftssta­bilisierungs­fonds“ mit seinen 200 Mrd. €, aus dem die Gas- und Strompreis­bremse, aber auch Subvention für den Intel-Chip-Standort in Magdeburg, be­troffen.

Aus diesem Chaos der Finanzpolitik durch die Schuldenbremse mit verheeren­den Folgen für den sozial-ökologischen Umbau führt nur die Rückkehr zur zuvor geltenden “goldenen Regel“.  Denn Kredite sind für öffentli­che Investitionen in eine nachhaltige Zukunft unverzichtbar. Eine Zweitdrittelmehr­heit für diese Grundgesetzänderung ist jedoch wegen des Am­pelpartners FDP sowie dem machtpolitischen Interesse der CDU/CSU, die Ampel-Re­gierung zu stürzen, nicht in Sicht. Unterhalb der Verfassungsänderung bietet sich folgende Vorge­hensweise an: Erklärt wird die Haushaltsnotlage, zu der auch das Bundesverfas­sungsgericht mit seinem 60 Mrd. €-Urteil beige­tragen hat. Der geplante Nach­tragshaushalt für 2023 folgt dieser Überlegung. Da sich an der Notlage wenig ändern wird, sollte auch 2024 das öf­fentliche Kreditverbot ausgesetzt werden.

Aber auch das das Bundesverfassungsge­richt sollte klarstellen: Der anhaltende Klimanot­stand begründet als „außerordentliche Notlage“ die ausgesetzte Schulden­bremse für verfassungskonform. Die Begründung haben die Wäch­ter des Grundgesetzes mit ihrem Urteil vom März 2021 bereits ge­liefert:  Wenn die heutige Ge­neration eine „mildere Reduktionslast“ beim CO2-Verbrauch zu Las­ten der nachfolgenden Generationen trägt, dann sind die dadurch erzeugten „Freiheits­einbußen“ infolge von Klimaschäden zu Lasten nachfolgender Gene­rationen verfassungswidrig.  Diese Generationsgerechtigkeit im Verfassungs­rang steht gegen die populistische Propaganda von den nachfolgenden Genera­tionen vererbten Schuldenlast. 

 

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