07.03.2022
Interview mit Rudolf Hickel / Weser Report

„Die Gefahr ist gegeben“ – Ökonom Rudolf Hickel zu den Kriegsfolgen für die Wirtschaft

Das Interview ist zuerst erschienen in Weser Report, 6. März 2022

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Herr Hickel, Lieferketten sind unterbrochen, Teile der Produktion stehen still, und die Inflation betrug im Februar schon 5,1 Prozent.Rutscht Deutschland in eine Rezession?

Rudolf Hickel: Die Gefahr ist gegeben. Ich spreche noch zurückhaltend von Stagflation, die kommt sicher: Die Verbraucherpreise werden stark steigen. Ich gehe von der pessimistischsten Schätzung aus. Die prognostiziert eine Inflationsrate von 6,1 Prozent. Da wird unterstellt, dass der Gaspreis in diesem Jahr noch einmal um 50 Prozent steigt. Auf der anderen Seite schlagen der Krieg und die Sanktionen auf das Wirtschaftswachstum durch. Es kann durchaus sein, dass das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr vorübergehend auch zurückgeht.

Stichwort Stagflation: Warum steigen die Preise, wenn die Wirtschaft stagniert oder sogar schrumpft?

R.H.: Es ist keine klassische Inflation. Die tritt ein, wenn die gesamtwirtschaftliche Nachfrage größer ist als das Angebot. Die Situation haben wir nicht. Die Preise steigen nicht auf breiter Front, aber die strategischen Preise explodieren, zum Beispiel die für Heizöl, Gas und Kohle. Auch Industrierohstoffe wie Nickel, Kupfer, Aluminium und Palladium sind sehr viel teurer geworden.

Am kommenden Donnerstag trifft sich der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB). Was muss er tun?

R.H.: Es ist Unfug, von der EZB zu erwarten, dass sie jetzt die Zinsen anhebt, um die Preissteigung zu bremsen. Die Geldpolitik kann nicht die oben genannten, strategischen Preise beeinflussen, sondern nur den monetären Rahmen der Preisentwicklung insgesamt. Deshalb brächte eine Zinserhöhung nichts. Im Gegenteil: Da viele Unternehmen kreditfinanziert sind, würde eine Zinserhöhung zu Zusammenbrüchen führen. Der EZB-Rat wird vielleicht beschließen, weniger Anleihen zu kaufen. Zur Erhöhung des Leitzinses wird es nicht kommen.

Noch in diesem Monat stehen Tarifverhandlungen für die Chemieindustrie an, im September folgt die Metall- und Elektroindustrie. Droht nicht eine Spirale, wenn die Gewerkschaften aufgrund der Inflation hohe Lohnforderungen durchsetzen?

R.H.: Die IG Metall ist gut beraten, sich an die Ziel-Inflationsrate der EZB zu halten. Die strebt leicht über 2 Prozent an. Nach der Lohnformel hinzu kommt die Beteiligung am Produktivitätswachstum und die Umverteilungskomponente. Aber wir sind in einer Phase, in der die Politik entscheidenden Einfluss hat auf die Tarifpolitik. Wenn es der Politik gelingt, die durch die Inflation verursachten sozialen Ungerechtigkeiten abzubauen, dann sinkt der Druck auf die Tarifverhandlungen.

Was muss die Politik dafür tun?

R.H.: Vor allem die Pendler müssen temporär entlastet werden. Deshalb sollte die Entfernungspauschale vorübergehend erhöht werden. Außerdem müsste die Mehrwertsteuer auf Strom, Benzin, überhaupt auf Energie vorübergehend reduziert, ja ausgesetzt werden.

Sollen wir jetzt wirklich eine Pause einlegen im Kampf gegen den globalen Klimawandel?

R.H.: Nein, im Gegenteil: Die Linie muss man fortsetzen. Inflation ist immer sozial ungerecht. Opfer ist aber nicht nur die alleinstehende arme Frau oder der alleinstehende arme Mann, es ist die Durchschnittsfamilie mit Mutter, Vater und zwei Kindern und einem verfügbaren Haushaltseinkommen bis zu 5.000 Euro, wie die sehr gute Studie des Instituts für Makroökonomie und Strukturwandel (IMK)zeigt. Ein Zuschuss zu den Heizkosten und die Erhöhung der Grundsicherung würden helfen. Er darf aber nicht nur den Beziehern von Wohngeld und Studenten zugutekommen.

Wann rechnen Sie mit einer wirtschaftlichen Erholung?

R.H.: Wenn der Krieg Russlands gegen die Ukraine endet und die Sanktionen wieder abgebaut werden, würde sich die Wirtschaft schnell erholen. Aber damit die Wirtschaft jetzt nicht zusammenbricht, müssen wir die Rettungsprogramme, die die Politik gegen Corona entwickelt hat, einsetzen.

Das heißt auch: Aussetzen der Schuldenbremse, insbesondere aufgrund des angekündigten Sondervermögens Bundeswehr von 100 Milliarden Euro?

R.H.: Es ist völlig klar, dass dieses Sondervermögen ausschließlich über Kredite finanziert wird. Aber auch der Russland-Krieg in der Ukraine ist ein außergewöhnliches Ereignis, deshalb gilt auch hier nicht die Schuldenbremse. Ich fordere allerdings, dass das Instrumentarium der Schuldenfinanzierung auch künftig strategisch eingesetzt wird, wenn es um zukunftsweisende zivile Projekte auch zum Nutzen künftiger Generationen geht.

Interview: Hermann J. Olbermann

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