21.08.2022
Rudolf Hickel

"Hallraum"-Inflation: Die fragwürdige Idee vom geldpolitisch verstärkten Energiepreisschock

Martin Werding, neues Mitglied im „Sachverständigenrat zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“, führt sich mit einer empirisch nicht belegbaren und theoretisch problematischen Ansage zur aktuellen Inflation ein. Die expansive Geldpolitik der letzten Jahre habe die Diffusion des Energiepreisschocks befördert.

In einem Interview unter dem Titel „Der ganz große Druck steht noch bevor“ ist das neu berufene Mitglied des „Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ MARTIN WERDING im Handelsblatt vom 11.8.2022 gefragt worden, ob die EZB „gegen die von Energiepreisen getriebene Inflation durch die Zinswende überhaupt helfen“ kann. Die Antwort verblüfft: „Es stimmt, teures Gas, teures Öl und teure Kohle haben die Teuerung ausgelöst. Die Inflation konnte nur entstehen, weil der Energiepreisschock in eine Art Hallraum der expansiven Geldpolitik geschallt ist. Seit 2012 hat die EZB die Geldmenge stetig erhöht, in der Corona-Pandemie kamen die enormen Hilfsprogramme dazu“ (Handelsblatt vom 11.8.2022, S. 5).

Nach Werdings „Hallraum-Inflation“ konnte der Energiepreisschock nur wegen der vorausgegangenen, langanhaltenden Geldmengenexpansion durch die EZB in eine gesamtwirtschaftliche Inflation umschlagen. Angeboten wird eine neue Variante der Überschussnachfrage, die auch noch durch den Nachfrageschub infolge der Corona-Hilfsprogramme verstärkt worden sei. Dieser Ansatz ist empirisch nicht belegbar und theoretisch fragwürdig.

Empirisch zeigt sich, wie die über viele Jahre expansive Geldpolitik eher von einer Inflation in der Nähe der Nullzone bis hin zur Gefahr der Deflation begleitet worden ist. Warum hat diese langanhaltende Vermehrung billigen Geldes nicht schon vor dem Energiepreisschub eine Inflation ausgelöst?

Theoretisch stellt sich die Frage, wie die Energiepreisexplosion in eine Inflation infolge der Politik des billigen Geldes umschlagen konnte. Nach dieser Sicht sind die importierten Angebotspreise im Klima der überschüssigen Geldmenge an den Endverbrauch weitergewälzt worden. Gibt es für diese These von der Vollüberwälzung Belege? Die Gegenfrage lautet vielmehr: Wie hätte sich die Wirtschaft entwickelt, wäre der Energiepreisschub auf eine restriktive Geldpolitik gestoßen? Der schnelle Einbruch der gesamtwirtschaftlichen Produktion bis hin zur Rezession wäre die Folge gewesen. Dagegen steht die Erklärung: Die Ursache der Inflation sind die steigenden Importpreise vor allem für fossile Energien. Hierbei handelt es sich um systemische Preise, die schnell die gesamte Wirtschaft durchdrängen. Gegenüber dieser Konstellation ist der Einfluss der Geldpolitik in Richtung einer Vermeidung der Inflation ohne massiven Einbruch der Wirtschaft mehr als dürftig. Auf die Rezessionsgefahr verweist Werding mit keinem Wort. Abgesehen von Effekten durch die Euro-Aufwertung kann die Notenbank die Angebotspreise und damit die Inflation nicht senken, aber mit der Zinswende die Gesamtwirtschaft belasten. Deshalb müssen, wie es die Politik tut, die Ursachen und sozialen Folgen der Angebotsinflation bekämpft werden.

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