04.08.2023
Simon Poelchau im Gespräch mit Rudolf Hickel

Statt Deindustrialisierung auf dem Weg zur grünen Industrie 4.0 plus

Langfassung des Interviews in der der TAZ vom 4. 8. 2023

  • Auf dem weg zur grünen inudstrie 4.0 plus Deutsche Abstiegsängste Vermessen: Deindustrialisierung, rezession, hartnäckige inflation

Frage: Ob Fachkräftemangel, Bürokratie oder hohe Steuern – die Klagen der Unternehmen nehmen wieder zu. Vor allem die hohen Energiepreise setzen ihnen angeblich zu. Droht eine Deindustrialisierung der deutschen Wirtschaft?

Der Begriff der Deindustrialisierung ist völlig unzutreffend. Diese apokalyptische Beschwörung vom Absturz Deutschlands lenkt von den aktuellen Krisenursachen ab. Sicherlich sind die Herausforderungen infolge des ökologischen Umbaus gigantisch. Aber der derzeitige Prozess hat wenig mit einem Verschwinden der Industrie zu tun.

Frage: Welcher Prozess ist das?

Nicht die Deindustrialisierung treibt die Wirtschaft an. Im Gegenteil, wir durchleben den politisch voranzutreibenden Umbau in das Industriezeitalter der Klimaneutralität. Dazu das Beispiel: In der Stahlindustrie werden die Hochöfen demontiert. Aufgebaut wird die Greensteel- Industrie mit CO2-minimalen Mega-Anlagen auf Wasserstoffbasis. Natürlich führt dieser Umbau zu Übergangsschwierigkeiten. Dazu zählen vorübergehend steigende Preise infolge der Nachfrage nach Rohstoffen für den Ausbau alternativer Energien. Das ist jedoch nicht das Ende der Industrie, sondern der Weg zur „grünen Industrie 4.0“! Im Gegenteil, es handelt sich um einen Prozess, den der österreichische Ökonom Schumpeter einst zutreffend als „schöpferische Zerstörung“ bezeichnete.

Frage: Besteht nicht die Gefahr, dass Unternehmen wegen zu hoher Energiepreise abwandern?

Natürlich sind die importieren Energiepreise noch immer sehr hoch und lösen Wettbewerbsnachteile für energieintensive Unternehmen aus. Dennoch entpuppt sich oftmals die Abwanderung als Drohgebärde. Gegen diese nicht durch die Politik verschuldete Kostenbelastungen ist eine zeitlich begrenzte Überbrückungshilfe durch einen subventionierten Industriestrompreis, wie ihn Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ins Spiel brachte, sinnvoll. Zugleich muss jedoch der Ausbau einer zuverlässigen Versorgung mit klimafreundlicher Energieversorgung zu bezahlbaren Preisen vorangetrieben werden.

Frage: Nach einer leichten Winterrezession hat die deutsche Wirtschaft zuletzt nur noch stagniert. Der Internationale Währungsfonds geht mittlerweile davon aus, dass sie dieses Jahr insgesamt um 0,3 Prozent schrumpfen wird. Da machen sich doch schon die Transformationsprobleme bemerkbar.

Nein, im Mittelpunkt stehen ganz andere strukturelle und konjunkturelle Probleme. Treibende Kräfte der Schrumpfgefahr sind immer noch die importierten Energiepreise als Kostenfaktor, der binnenwirtschaftliche Nachfragerückgang durch sinkende Exporte, gebremste Konsumnachfrage durch die Inflation vor allem bei den Einkommensschwachen sowie staatliche Finanzierungsengpässe durch die reaktivierte Schuldenbremse. Beschleunigt wird die Absturzgefahr der Gesamtwirtschaft durch die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihrer vor einem Jahr gestarteten Zinswende.

Frage: Die EZB hat vergangene Woche eine Erhöhung der Leitzinsen beschlossen - zum neunten Mal binnen eines Jahres. Er liegt nun bei 4,25 Prozent. So hoch war er zuletzt zu Beginn der Finanzkrise 2008. Ist das zu viel?

Die erneute Erhöhung der Leitzinsen und damit Besorgung von Geld durch die Banken ist aus mehreren Gründen falsch: Zuerst ist die Inflationsdiagnose falsch. Die hartnäckige Geldentwertung ist nicht auf eine hausgemachte Übernachfrage gegenüber dem Angebot zurückzuführen. Zuerst sind es immer noch die hohen Energiepreise vor allem für Gas im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine samt den nachfolgenden Sanktionen. Hinzugekommen sind die steigenden Lebensmittelpreise. Wie soeben der Internationale Währungsfonds gezeigt hat, vor allem marktbeherrschende Unternehmen treiben die Preise zur Profitsteigerung im Euroraum nach oben. Von Geerflation ist zu Recht die Rede. Wie will die EZB mit ihrer Geldpolitik diese Preistreiberei bekämpfen? Gewiss sind nur steigende Zinsen für die Kredite, auf die Wirtschaft angewiesen ist. In der Bauwirtschaft sind die Schäden dieser Geldpolitik unübersehbar. Schließlich zählen die Banken zu den Gewinnern durch lukrative Zinsüberschüsse: Die Kreditzinsen wurden schnell erhöht, jedoch die Zinsen auf das Ersparte kaum angehoben.

Frage: Kritik an der EZB kommt nun auch von ungewöhnlicher Seite. Die Umweltorganisation Greenpeace wirft ihr vor, nicht genug für den Klimaschutz zu tun.

Damit hat Greenpeace Recht. Die EZB hat im Juni dieses Jahres ihren Beschluss vom Oktober im Vorjahr, zumindest die Erlöse aus Tilgungen im Rahmen des APP-Anleihekaufprogramms wieder anzulegen, zurückgenommen. Damit stehen die im Zuge der Tilgung freiwerdenden Mittel nicht mehr zum Aufkauf von Anleihen der Unternehmen, die Klima-Scores erfüllen, zur Verfügung. Mit dem Schwur auf eine auch noch erfolglose Antiinflationspolitik hat sich die EZB aus dem Greening ihrer Bilanz verabschiedet.

Frage: Ist es überhaupt Aufgabe der EZB, Klimapolitik zu betreiben?

Geldpolitik mit den Geldaggregaten ohne Verantwortung für den Klimawandel, das geht heute nicht mehr. Die EZB hatte das mit ihren vorbildlichen Anforderungen in ihrer „Klimaagenda“ vom 4. Juli 2022 begriffen. Grundsätzlich bleibt die Preisstabilität das wichtige EZB-Ziel. Gleichzeitig lassen sich ihre monetären Spielräume für den ökologischen Umbau nutzen. Es gibt zumindest die Möglichkeit, ohne erzeugte Inflationserwartungen die gesamten Anleihebestände im Umfang von über 5 Billionen € für das Greening zumindest im Zuge der Wiederanlage getilgter Titel nutzen. Vorstellbar wäre auch ein eigener Fonds für klimafreundliche Unternehmens- und Staatsanleihen.

Frage: Wie nutzt es dem Klima, wenn die EZB Unternehmensanleihen kauft?

Zunächst muss festgehalten werden, dass die EZB nur auf dem sogenannten Sekundärmarkt Anleihen kaufen darf, also nicht direkt von Staaten und Unternehmen. Wenn sie aber auf den Wertpapiermärkten zum Beispiel gezielt Anleihen eines Windanlagenherstellers kauft, dann verbessert sie dessen Finanzierungslage, verschafft ihm also einen ökologischen Vorteil gegenüber einem Erdölkonzern, der mit seinem Geschäftsmodell dem Klima schadet.

Frage: Die EZB verstößt doch gegen ihr Neutralitätsgebot, wenn sie klimafreundliche Unternehmen bevorzugt?

Natürlich ist die Zentralbank nicht mehr nach dem Motto neutral, egal, welche Unternehmen, Hauptsache das Aggregat Geldmenge wird bewegt. Zumindest bei den Anleihen sollte die Priorisierung der Geschäfte nach ökologischen Mindeststandards erfolgen. Die Klimakrise hat diese Neutralität, die bisher auch CO2-ausstoßenden Unternehmen genutzt hat, aufgekündigt.

Frage: Der EZB steht vor einem viel zu wenig diskutierten Tabubruch. Die Zielinflationsrate von 2 Prozent wird trotz massiven Strukturwandels seit Jahrzehnten als unantastbar verkündet. Gibt es nicht ernsthafte Hinweise, den 2-Prozent-Deckel zu erhöhen?

Hier kommt der gewollte ökologische Umbau mit höheren Preisen für den CO2-Ausstoß über die gesamte Wirtschaft ins Spiel. Zumindest in der langen Phase der Transformation liegt deshalb die unvermeidbare Zielinflationsrate höher. Mit dem sturen Festhalten an der der klimablinden 2 Prozent-Grenze wird das ökologische Ziel konterkariert und die Gesamtwirtschaft belastet. Allerdings muss gegen die sozial ungerechten Folgen in der Phase der „Umbauinflation“ ein Klimabonus eingesetzt werden. Zu diesen Herausforderungen schweigt die Euro-Notenbank. ---

 

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