26.01.2024
Interview mit Rudolf Hickel im Weser-Kurier

Endlich Verhandlung über den Einstieg in die 35-Wochenstunde ohne Lohnverlust bei der Deutschen Bahn Connect GmbH

Interview von Florian Schwiegershausen mit Rudolf Hickel zum Bahnstreik im Weser-Kurier vom 24. 01. 2023:

Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel äußert sich kritisch zum aktuellen Bahn-Arbeitskampf und der Haltung des GDL-Chefs sowie der Bahn AG. Er sieht sogar das bewährte Prinzip von Tarifverhandlungen gefährdet.

Herr Professor Hickel, welches Verständnis haben Sie für diese Art der Tarifverhandlung und diesen sechstägigen Streik?

Rudolf Hickel: Nach dem neuesten, also dem dritten Tarifangebot der Deutschen Bahn, ist es unzumutbar, als GDL die Verhandlung zu verweigern und mit einem sechstägigen Streik über das Wochenende zu ant­worten. Verhandlungen, auch beeinflusst durch Streiks, sind unverzichtbar. Das lehrt die Logik des Tarifvertragssystems, das für die abhängig Be­schäftigten mit ihren Gewerkschaften einen Machtausgleich gegenüber der Ar­beitgeberseite sichern soll. Wenn es zum internen Kompromiss nicht reicht, ist eine Schlich­tung von außen sinnvoll. Mich ärgert, dass GDL-Chef Claus Weselsky mit seiner Totalverweige­rung den Gewerkschaften einen Schlag verpasst, die erfolgreich Tarifpolitik betreiben.

Welche Gefahr sehen Sie darin, wenn diese Art der Tarifverhandlung in anderen Branchen Schule macht?

Der unverantwortliche Vorstand der Deutschen Bahn und die sture GDL-Führung stehen jetzt in der Verantwortung für das gesamte Tarifvertragssystem. Ich empfehle den beiden derzeit Unversöhnlichen ein Seminar über die Geschichte der Niederlagen und vor allem der Erfolge des Tarifvertragssystems. Im letzten Jahr sind etwa Abschlüsse in der Stahlindustrie und für den öffentlichen Dienst bei den Ländern erfolgreich vereinbart worden. Jetzt stehen weitere Tarifverhandlungen etwa im Bereich der Chemie und des Bauhauptgewerbes an. Hart gerungen wird um den Ab­schluss im Einzelhandel. Gerade sind auch die Ärzte dabei, einen Streik zu pro­bieren. Sicherlich wird es bei den anstehenden Tarifverhandlungen an der einen oder anderen Stelle nur mit Streiks und Schlichtungen zu brauchbaren Abschlüssen kommen.

Das heißt also für die GDL?

Die Minige­werkschaft GDL ist gut beraten, endlich die Konkurrenzgewerkschaft EVG mit ihren Abschlüssen nicht als „DB-Vorstandswillige“ zu diffamieren. Die GDL profitiert derzeit von der seit 2020 für die DB geltenden Umsetzung des Tarifeinheitsgesetzes. Das besagt ja, dass die Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern die Tarifverhandlungen führen darf. Von den 72 Wahlbetrieben der DB, bei denen die Mehrheitsgewerkschaft die Tarifverhandlung führt, fallen 18 der GDL zu. Ob es dabei bleibt, hat jetzt auch die GDL in der Hand.

Meinen Sie, dass es zu einer Schlichtung kommen wird, auch wenn GDL-Chef Weselsky das momentan katego­risch ablehnt?

Wer Weselsky vor allem aus der Phase der Gründung der GDL kennt, der weiß, dass ihm am Ende das Interesse selbst an einem angemessenen Kompromiss immer wieder fremd ist. Die GDL muss von innen den Weg zum Verhandlungstisch finden. Dazu gehört auch der gute Rat wohlmeinender Berater und anderer Ge­werkschaften von außen. Aber auch auf die durch den Streik blockierten Bahn­reisenden sollte gehört werden. Nach bisher viel Empathie für die GDL-Forde­rungen droht jetzt ein massiver Akzeptanzverlust. Meine Sorge ist, dass das hohe Gut Streikrecht durch populistische Politik gekapert wird.

Inwiefern könnten Sie sich nochmals vorstellen, als Schlichter zur Verfügung zu stehen?

Mit den hier durch mich vorgetragenen Argumenten bin ich bereits als Schlichter ver­brannt - leider. Bei einer Schlichtung wäre mein Vorschlag: Das Ziel 35-Stundenwoche bei vollem Lohnausgleich wird in drei jährlichen Schritten realisiert. Durch motivierende Arbeitsbedingungen zusammen mit Ausbildungs­initiativen würde der Lokführerberuf wieder attraktiv.

Also stehen Sie den grundsätzlichen Forderungen der GDL positiv gegenüber?

Alle, die in den DB-Zug einsteigen, müssen wissen: Die Belastung des Personals auf dem Bock in der Lok im extremen Schichtbetrieb ist nicht mehr zu verantworten. Deshalb ist die Forderung einer Verkür­zung der Wochenarbeitszeit von derzeit 38 auf 35 Stunden im Prinzip richtig. Und dass dieser Abbau von Arbeitsstunden nicht durch Lohnverzicht den Lok­führern aufgebürdet werden kann, ist auch klar. Jetzt geht es um die Frage, wie diese Forderung zeitlich umgesetzt werden wird. Mit ihrer bisherigen Antwort auf die GDLhat sich die Deutsche Bahn blamiert. Sie bietet für eine Stunde weniger Wochenarbeitszeit die Wahlmöglichkeit: eine Stunde weniger Wochenarbeitszeit oder eine zusätzliche Lohnerhöhung ab 2026. Ob allerdings der Wahl entsprochen wird, macht die Bahn vom Personalstand abhängig. Dieser Vorschlag ist eine Provokation.

Wieviel mehr sollte ein Lokführer im Schichtdienst erhalten – wenn auf der an­deren Seite die Bahnvorstände ihre Boni erhalten haben?

Diese Rechnung will ich nicht aufmachen, weil die beiden Dinge zu trennen sind. Die Boni-Zahlungen sind auf jeden Fall eine Provokation. Mich wundert, welche Kriterien für den Erfolg des Bahnmanagements bei einer insgesamt massiven Krise dieses Mobilitätssystems angewendet worden sind. Hier muss der Auf­sichtsrat mit dem Eigentümer Staat handeln. Dagegen leiten sich die Forderungen nicht nur für die Lokführer nicht aus Boni-Zahlungen, sondern einzig und allein aus dem Ziel einer fairen Bezahlung für ihr Arbeit unter humanen Bedingungen ab.

Das Gespräch führte Florian Schwiegershausen.

 

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