30.11.2023
Uwe Foullong

Bundesverfassungsgericht löst Haushaltskrise aus

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil zum Klima- und Transformationsfonds (KTF) ein politisches Erdbeben ausgelöst.

Das Urteil über die nicht verfassungskonforme Verschiebung von 60 Mrd. Euro Krediten vom „Coronakrisenfonds“ in den KTF hat mit den vielfältigen Begründungen auf die gesamte Haushalts- und Finanzpolitik der Bundesregierung durchgeschlagen. So sind der laufende Haushalt 2023 sowie der im Beratungsprozess befindliche Haushaltsplan 2024 unwirksam und müssen überarbeitet, d.h. rechtssicher gemacht werden. Hinzu kommt, dass auch nicht nur der KTF in seiner bisherigen Form unzulässig ist, sondern auch andere Sonderfonds, insbesondere der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF).

Die Haushalts- und Finanzpolitik der Bundesregierung hat zu einer tiefgreifenden Verunsicherung in Wirtschaft und Gesellschaft geführt.

Und so erleben wir derzeit heftige Diskussionen zu der Frage, wie diese Probleme gelöst werden können. Angesichts der Milliardenbeträge, die jetzt fehlen, ist die Problematik gewaltig. Eine Regierungs- oder gar Staatskrise wird von manchen für möglich gehalten. Dabei gibt es aber auch durchaus Chancen, zukünftig zu einer Haushalts- und Finanzpolitik zu gelangen, die geeignet ist, die Wirtschaft zu stabilisieren, Investitionen und Nachfrage zu steigern und damit Zukunft positiv zu gestalten.

Folgende Lösungen werden grundsätzlich diskutiert:

1. Kürzungen des Haushaltes (fälschlicherweise als „Sparen“ bezeichnet)

Die Aussagen hier, ganz betont von der FDP vorgetragen, sind klar: Man muss mit dem Geld auskommen, was man hat. Und wenn es jetzt aufgrund des Urteils des Bundeverfassungsgerichtes weniger ist, dann müssen verschiedene Haushaltspositionen gekürzt werden. Auch von „Prioritätensetzung“ ist hier häufig die Rede – eine Begrifflichkeit, die wohl Kritiker einer Kahlschlagpolitik besänftigen soll, da man den Eindruck vermittelt, dass die Investitionen, die heute unterbleiben, ggf. morgen nachgeholt werden können. Bemerkenswert ist nur, dass bisher weit überwiegend Kürzungen im Sozialbereich sowie bei Subventionen genannt werden.

Wenn Kürzungen des Haushaltes (wieder) das Primat der Haushalts- und Finanzpolitik werden, dann werden Wohlstand und Lebensqualität für die meisten Menschen sinken, Armut in der Gesellschaft weiter steigen. Auf diese Weise wird die Gefahr eines weiteren Auftriebs rechter, menschen- und demokratiefeindlicher Aktivitäten immer größer.

Es ist ganz offensichtlich, dass dieser Lösungsansatz nicht nur die bestehenden Probleme nicht löst, sondern noch verschärft. Die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft hin zu einer klimaneutralen Produktion und Lebensweise erfordert viele Milliarden Euro mehr auch aus den öffentlichen Haushalten. Hinzu kommen die vielen Milliarden, die erforderlich sind, um die in den letzten Jahren angehäuften sozialen Probleme und Missstände zu lösen, z.B. bei den hunderttausenden fehlenden bezahlbaren Wohnungen, dem Mangel bei Kitas und Erzieher*innen, beim Pflege- und Lehrpersonal, bei der Modernisierung der Infrastruktur, insbesondere dem Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs.

2. Schuldenbremse aussetzen

Die Schuldenbremse - in Artikel 109 Grundgesetz verankert- regelt u.a., dass in Notlagen ausnahmsweise mehr Kredite aufgenommen werden dürfen als der für den Bund geregelte Schuldendeckel (maximal 0,35% vom Bruttoinlandsprodukt). Insofern ist die vom Parlament zu beschließende und rechtssicher zu begründende Notlage, die das „Aussetzen der Schuldenbremse“ zur Folge hat, ein Bestandteil der Schuldenbremse, den das Bundesverfassungsgericht auch bestätigt hat. Notlagen können nach wie vor erklärt werden. Diese müssen klar und umfassend begründet sein. Und so hat sich die Ampel-Regierung dann auch jetzt schnell darauf verständigt, für das laufende Jahr 2023 die Notlage (die Energiekrise besteht auch 2023 weiter) zu erklären und zu begründen, um den Haushalt 2023 rechtssicher zu gestalten.

Heftig diskutiert wird derzeit, ob auch für die Haushaltsaufstellung 2024 die Notlage erklärt und begründet werden soll, um die fehlenden Milliarden als zusätzliche Kredite zu den bisher geplanten 13 Milliarden im Rahmen des grundgesetzlichen 0,35%-Deckels aufnehmen zu können. Die FDP ist -trotz dieser grundsätzlich vorhandenen Möglichkeit- explizit gegen eine Erklärung und Begründung der Notlage für 2024 und positioniert sich damit als grundsätzlicher Gegner von guter Zukunftsgestaltung im Sinne des Lösens sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Probleme. Die CDU ist in dieser Frage vielstimmig. Während einige CDU-Ministerpräsidenten diese Möglichkeit favorisieren, deutet der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz an, dass er sich eine erneute Klage gegen eine solche Notlagenerklärung vorbehalte. Teile der CDU betrachten die Schuldenbremse ähnlich wie die FDP als ein unumstößliches Dogma, während andere -zumeist in Regierungsverantwortung stehende- Teile der CDU einen pragmatischen Umgang mit der Schuldenbremse favorisieren.

Das „Aussetzen der Schuldenbremse“ hat aber zwei gegensätzlich Seiten. Sie mag kurzfristig durch die Aufnahme von mehr Krediten dringend notwendigen Handlungsspielraum verschaffen, wirkt aber langfristig wieder wie eine Fessel, weil sie die Finanzierungsprobleme in die Zukunft verschiebt. So muss mit der Aufnahme der Kredite gleichzeitig ein Tilgungsplan beschlossen werden. Es muss verbindlich festgelegt werden, ab wann die Kredite über welchen Zeitraum getilgt werden. Und wenn dann in diesem Tilgungszeitraum die Schuldenbremse wieder ohne Notlagenerklärung gilt, muss die Tilgung aus den aktuellen Steuereinnahmen erfolgen, was den Handlungsspielraum wiederum erheblich einengt. So ist z.B. beschlossen, dass der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) ab dem Jahre 2028 über 30 Jahre zu tilgen ist, was bei bisheriger Berechnung in etwa 13 Milliarden Euro pro Jahr ausmacht.

Gleichzeitig muss aber auch der 100-Mrd-Sonderfonds für die Bundeswehr spätestens ab 2031 mit Milliardenbeträgen getilgt werden, so dass massive Tilgungszahlungen in der Zukunft jetzt schon feststehen. Insofern ist das „Aussetzen der Schuldenbremse“ gar kein wirkliches Aussetzen, sondern nur ein -dann verschärftes- Verschieben und insofern ein ungeeignetes Instrument für eine gute zukunftsorientierte Finanz- und Haushaltspolitik.

3. Schuldenbremse reformieren

Während das „Aussetzen“ der Schuldenbremse mit einfacher Regierungsmehrheit im Bundestag (und auch in den Landtagen) über die Erklärung und Begründung einer Notlage erfolgen kann, ist für die Reform der Schuldenbremse eine 2/3-Mehrheiut im Bundestag und Bundesrat erforderlich, weil der Artikel 109 Grundgesetz (GG) geändert werden muss. Bei der Reform der Schuldenbremse geht es darum, Investitionen bei der Berechnung der Schuldenbremse nicht anzurechnen. Das bedeutet, dass es zulässig würde, Kredite für Investitionen aufzunehmen ohne dass die Schuldenbremse dies -wie derzeit durch den Deckel von 0,35% des BIP- verbieten würde. Viele Ökonomen, inzwischen auch aus dem arbeitgebernahen Lager, plädieren für eine solche Reform, weil sie zum einen die Regierung handlungs- und gestaltungsfähig macht und zum zweiten ökonomisch sinnvoll ist, wenn Investitionen jetzt getätigt werden, deren Nutzen jetzt schon spürbar wird und zudem über mehrere Jahrzehnte mehreren Generationen zu Gute kommt. Schließlich werden nicht nur Kredite aufgenommen, die irgendwie verpuffen, sondern mit den dafür getätigten Investitionen wird Nutzen und Wohlstand geschaffen.

Kürzungspolitik hat bereits begonnen – Schuldenbremse zerstört Infrastruktur und Sozialstaat

Diese drei Alternativen werden derzeit heftig diskutiert. Bei diesem akuten Streit über die Ausrichtung der Haushalts- und Finanzpolitik wird jedoch übersehen bzw. teils bewusst verschwiegen, dass der Finanzminister -abgestimmt in der Ampelregierung- bereits für das Haushaltsjahr 2024 die Rückkehr zur Schuldenbremse ausgerufen hat. Konsequenz: Im bisherigen Haushaltsplan 2024 wurden erhebliche Kürzungen gegenüber 2023 geplant! So soll der Haushalt 2024 mit 445,7 Milliarden Euro satte 30 Milliarden Euro weniger umfassen (minus 6,3%), als im Vorjahr. Fast alle Haushaltspositionen sind dabei gekürzt mit Ausnahme der Position „Verteidigung“.

Hinzu kommt, dass bei diesem aktuellen Streit nicht problematisiert wird, dass die Schuldenbremse seit ihrer Einführung in das Grundgesetz im Jahre 2009 erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Schaden angerichtet hat. Der Zustand in Wirtschaft und Gesellschaft ist ganz besonders dadurch geprägt, dass die Nettoinvestitionen des Staates negativ sind. Das heißt, es wurde in den letzten Jahren deutlich weniger investiert als an Substanz verbraucht wurde. Das Ergebnis ist im alltäglichen Leben der meisten Menschen direkt spürbar:

Straßen, Brücken und das Schienennetz sind vielfach marode. Schulen, Kitas und öffentliche Gebäude sind häufig verfallen, der soziale Wohnungsbau ist zum Erliegen gekommen, das Gesundheitssystem ist unterfinanziert und die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft zur Klimaneutralität hinkt hinter den verbindlichen Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens weit hinterher.

Die Fortschrittskoalition, wie sich die Ampel selbst nennt, hat ganz sicher nicht alles zu verantworten. Das meiste haben die Regierungen zuvor insbesondere durch die dogmatische und übertriebene Anwendung der Schuldenbremse mit der Politik der „schwarzen Null“ zu verantworten. Da hatten die Regierungen lieber Überschüsse gefeiert, als Geld in die Infrastruktur, das Gesundheits-, Bildungs- und Erziehungssystem zur Verbesserung der Lebensumstände für die Bürger*innen zu investieren.

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik hatte von Beginn an auf die negativen ökonomischen und sozialen Wirkungen der Schuldenbremse hingewiesen und wird leider durch die praktischen vielfältig entstandenen Missstände in Wirtschaft und Gesellschaft bestätigt. Die Schuldenbremse wirkt ökonomisch kontraproduktiv. Sie fesselt Regierungshandeln, indem sie Handlungsmöglichkeiten ausschließt, was sich wiederum negativ auf die Lebensumstände der Bürger*innen auswirkt.

Es ist derzeit nicht wirklich erkennbar, welcher Weg zukünftig mit der Haushalts- und Finanzpolitik in Deutschland eingeschlagen wird. Klar ist, dass FDP und CDU eine Anwendung der Schuldenbremse grundsätzlich anstreben. Klar ist inzwischen auch, dass die Grünen dagegen eine Reform der Schuldenbremse anstreben, dazu aber eine 2/3 Mehrheit zur Änderung des Grundgesetzes benötigen. Und klar ist auch, dass die Haltung der SPD bisher noch unklar ist. Während die Parteispitze eine Reform der Schuldenbremse für erforderlich hält, hält sich der SPD-Kanzler wie so häufig zurück.

Der Riss in der Frage nach der Ausgestaltung der Haushalts- und Finanzpolitik geht also mitten durch die Ampelregierung. Insofern ist eine Regierungskrise genauso wenig ausgeschlossen wie eine Verständigung der Ampel-Parteien, weil weder SPD noch Grüne noch FDP eine Stärkung ihrer Macht  durch Neuwahlen erwarten dürften.

Ein gravierendes Versäumnis: Vierte Alternative wird nicht wirklich diskutiert

Ein ganz großes Versäumnis bei dieser Diskussion um die Ausrichtung der Haushalts- und Finanzpolitik ist die Tatsache, dass eine vierte Alternative kaum erwähnt wird: Das ist die Stärkung der öffentliche Haushalte durch eine höhere Besteuerung von Multimillionären und Topverdiener*innen. Seit Jahrzehnten schultern die unteren und mittleren Einkommens-bezieher*innen mit ihren Steuerbeiträgen die öffentlichen Ausgaben, während Topverdiener*innen und Vermögende in einem Steuerdumpingland leben. Diese Steuerprivilegien, diese Steuerungerechtigkeit wird leider kaum diskutiert.

In einer DIW-Studie zur Vermögensungleichheit wird festgestellt, dass der Staat zusätzliche Einnahmen in Höhe von ca. 120 Mrd. Euro hätte, wenn die Vermögenden in Deutschland genauso besteuert würden wie z.B. in Frankreich, Großbritannien und den USA. Die deutschen Regierungen machen den superreichen 1 bis 3 Prozent der Bevölkerung ein riesiges Geschenk, während für die übrigen 97% die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Probleme immer heftiger werden. Diese Steuerungerechtigkeit muss insbesondere durch die Wiedereinführung der Vermögenssteuer für Multimillionäre, eine Reform der Erbschaftssteuer, bei der die Ausnahmen für Multimillionäre abgeschafft werden sowie eine höhere Besteuerung von wirklichen Topverdiener*innen abgeschafft werden. Der Staat bzw. die Gesellschaft, haben angesichts der massiven Probleme und Missstände keinerlei Spielraum auf angemessene Steuerbeiträge zu verzichten. Auch darauf hat die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik bereits seit mehr als 10 Jahren immer wieder betont hingewiesen.

Die Diskussion über die Schuldenbremse darf über diese Steuerungerechtigkeit, über diese Privilegien von Multimillionären, nicht hinweggehen. Wir brauchen beides: Eine Abschaffung der Schuldenbremse, weil sie eine Zukunftsbremse ist und wir brauchen Steuererhöhungen für Multimillionäre, um Steuergerechtigkeit und dringend erforderliche Mehreinnahmen für das Allgemeinwohl zu generieren.

Veröffentlichungen unserer Mitglieder
Aktuelles aus der AG Alternative Wirtschaftspolitik