30.04.2008

MEMORANDUM '08

Neuverteilung von Einkommen, Arbeit und Macht - Alternativen zur Bedienung der Oberschicht

Verunsicherung, Empörung und die Rückkehr des Sozialen

Zu Beginn dieses Jahres prägt eine merkwürdige Gemengelage unterschiedlicher Wahrnehmungen und Einschätzungen das wirtschafts- und sozialpolitische Klima in Deutschland. Es lassen sich drei Diskussionsstränge erkennen:

Der erste betrifft die Beurteilung der wirtschaftlichen Situation und Aussichten durch die Bundesregierung. Hier herrscht eine Mischung aus trotzigem Optimismus und der dumpfen Ahnung kommenden Ungemachs vor, für das jedoch jede Verantwortung zurückgewiesen wird. Der Aufschwung ist in dieser Sicht nach wie vor robust, und dies sei das Verdienst der Regierungspolitik. Wenn er aber dennoch nicht anhält, sondern die Abschwungkräfte stärker werden, liege das nicht an deutscher Politik, sondern an der "weltweiten Finanzkrise", für die die deutsche Politik bekanntlich nichts kann. Diese prompte Präsentation eines Sündenbockes ist für die Regierung sehr praktisch, weil sie die Politik entlastet und ihr erlaubt, den bisherigen Kurs der Haushaltskonsolidierung, weiteren Marktöffnung und Privatisierung fortzusetzen.

Der zweite Strang der wirtschafts- und sozialpolitischen Diskussion drückt die um sich greifende Erkenntnis aus, dass Deutschland nicht nur das im vergangenen Jahr gelegentlich auch von der Politik thematisierte Unterschichtenproblem, sondern offensichtlich auch ein bislang nicht thematisiertes Oberschichtenproblem hat. Die kaltschnäuzige Vernichtung Zehntausender von Arbeitsplätzen und produktiver Standorte durch das Management hochprofitabler Unternehmen, die extrem hohen Sonderzahlungen und Abfindungen für gescheiterte Manager, die Kombination von Größenwahn und Gier, von Korruption und Vorteilsnahme in deutschen Spitzenunternehmen und die jüngsten Enthüllungen über die verbreitete Praxis krimineller Steuerflucht in Kreisen der Höchstverdiener - all dies hat zunächst ungläubiges Staunen und danach große Empörung bei denen ausgelöst, die nicht zu diesen Kreisen gehören. Die Integrität und Kompetenz des wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Führungspersonals der Bundesrepublik steht zunehmend in Frage, und eine Welle der Diskussion über Moral in der Wirtschaft hat begonnen.

Der dritte Strang in der aktuellen wirtschafts- und sozialpolitischen Gemengelage besteht in dem Versuch aller maßgeblichen politischen Akteure, sich als Fels des Sozialen inmitten neoliberaler Brandung zu profilieren und kleine Korrekturen zuvor selbst angerichteter Grausamkeiten zu fordern und in Einzelfällen auch durchzusetzen. Dieser durch Scheinheiligkeit geprägte Strang wird durch die moralische Empörung zwar befördert, seine wesentliche Grundlage aber dürften die durch gesellschaftliche Kritik und Mobilisierungen sowie durch neue parlamentarische Konstellationen leicht veränderten politischen Kräfteverhältnisse sein - und der Blick auf den bevorstehenden Bundestagswahlkampf. Derartige Korrekturen ändern an der neoliberalen Gesamtausrichtung der Politik jedoch kaum etwas: Sie sollten dennoch nicht nur als Betrugsmanöver abgetan, sondern als Hinweis darauf verstanden werden, dass Kräfteverhältnisse auch im positiven Sinne verändert werden können, und dass sich die Mühe des Kampfes für eine andere Politik durchaus lohnt, allerdings einen sehr langen Atem erfordert.

Hierzu will auch das diesjährige Memorandum beitragen. Wir wollen darin zeigen, dass die von der Regierung mit triumphierender Geste herausgestellten beschäftigungspolitischen gungspolitischen Erfolge fragwürdig sind und vor allem eine massive Entwertung der Arbeit beinhalten; dass die Konjunktur nicht robust, sondern sehr fragil ist und dies seine Ursache nicht in der amerikanischen Hypothekenkrise, sondern in der Schwäche der deutschen Binnenwirtschaft hat; dass hierin letztlich die langfristige Tendenz einer zunehmend falschen Verteilung von Einkommen, Arbeit und Macht zum Ausdruck kommt. Die Überwindung der anhaltenden gesamtwirtschaftlichen und schärfer werdenden sozialen Probleme bedarf daher einer Neuverteilung von Einkommen, Arbeit und Macht, die durch starke soziale Bewegungen vorangetrieben wird und zu einer gründlichen Demokratisierung der Wirtschaft führt.

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Aktuelles aus der AG Alternative Wirtschaftspolitik