In Gedenken an Herbert Schui (1940 - 2016)
Herbert Schui, Mitbegründer der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, ist am 14. August 2016 verstorben. Mit seiner begeisternden Kraft hat er die kritische Politische Ökonomie weiterentwickelt und linke Politik fundiert. Sein Beweis: Es gibt gegen den machtvollen und Menschen verachtenden Marktfundamentalismus eine machbare Alternative. Sein Engagement seit der Gründung der "Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftpolitik" ist uns Verpflichtung.
Versuch eines Nachrufs auf Herbert Schui: Theoriegewaltiger Kapitalismuskritiker, von Rudolf Hickel
Als die Nachricht vom Tod Herbert Schuis sich verbreitete, war die Betroffenheit groß. Seine Mitstreiter, seine Freunde, aber auch diejenigen, die er in der Wirtschaftswissenschaft und Politik scharfzüngig kritisiert hatte, wissen, ein großer Ökonom in der Tradition der kritischen Politischen Ökonomie steht für die dringend notwendige Aufklärung nicht mehr zur Verfügung.
Seine wissenschaftliche Karriere begann er nach dem Studium der Volkswirtschaft im Forschungsprojekt „Geldtheorie und Geldpolitik“ an der gerade neu gegründeten Universität in Konstanz. Der Chef war damals der hoch renommierte Monetarist Karl Brunner aus Rochester (USA), der die Federal Reserve Bank scharf kritisierte. Da hat Herbert Schui die Giftküche der Marktfundamentalisten kennengelernt. Er arbeitete als wissenschaftlicher Assistent mit dem deutschen Monetaristen Manfred Neumann, der als Fundamentalkritiker des Keynesianismus auftrat, in diesem Forschungsprojekt zusammen. Zur Summer-University rief Brunner als Vertreter des internationalen Monetarismus viele Jahre die allerdings nur der neoklassisch und monetaristisch zuzuordnenden großen Ökonomen an den Bodensee. Herbert Schui nutzte die Chance, auf diesen Sommeruniversitäten mutig mit etwa Milton Friedman, James Buchanan, Harold Demsetz und vielen anderen Vertretern eines Marktfundamentalismus zu streiten. 1972 promovierte er erfolgreich über das System der Geldpolitik in Frankreich. Die Wahl des Landes war kein Zufall. Seine Liebe galt Frankreich und seiner Ferme, dem kleinen Bauernhof in einer damals verarmten Bergregion in der Nähe von Limoux.
1974 wechselte er zur neu gegründeten Universität Bremen. Seine Lehre zu allgemeinen Fragen des Kapitalismus aber auch zu den Grundannahmen der modernen Preistheorie wurde von den Studierenden geschätzt. In Bremen wirkten die theoretisch und politisch gefürchtete „Trio Infernale“ Schui/Huffschmid/Hickel. 1980 wechselte er zur Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg (HWP). Dort wurde er zum führenden Kopf einer Wirtschaftswissenschaft, die kritisiert, wie Konflikte zwischen Kapital und Arbeit mit neoklassischen Mythen verdrängt werden.
Mit seiner Theoriegewalt und im Bemühen um Aufklärung konnte er sich nicht auf den Elfenbeinturm reduzieren. Schon in seiner Konstanzer Zeit war der Intellektuelle bei den Gewerkschaften als Referent und Berater gefragt. Dieser Aufgabe blieb er bis zu seinem Tod verbunden.
Herbert Schui nutzte auch die Medien, um seine Botschaft gut begründet zu verbreiten. In Tageszeitungen wie der „Frankfurter Rundschau“ und später auch im „Neuen Deutschland“ und vielen anderen Organen provozierte er mit spannenden Kommentaren.
Sein Schritt in die große Politik war konsequent. Mehr als eine Legislaturperiode saß er in der Fraktion DIE LINKE im Bundestag. Dort lernte er auch, wie schwierig es wegen unterschiedlicher Bewertungen innerhalb der LINKEN sein kann, gemeinsame Positionen zu fixieren.
Wissenschaftspolitisch gehört die Gründung der „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“ – auch Memo-Gruppe genannt – zusammen mit Jörg Huffschmid 1975 zu seinen überragenden Leistungen. Er hat Positionen entwickelt, diskutiert und schließlich auch auf den jährlichen Pressekonferenzen vor allem in der Anfangsphase in Bonn vertreten.
Der Ort, an dem die Memo-Idee geboren wurde, sagt auch etwas über den Genießer aus. Mit Jörg Huffschmid saß er am offenen Feuer seiner Ferme in der Nähe von Limoux in Frankreich beim Wein. Die beiden warteten, bis endlich die Lammkeule gegart sein würde. Sie nutzten die Zeit zu einer intensiven Diskussion über die ökonomische und wirtschaftswissenschaftliche Lage. An diesem Ort vereinbarten die beiden Vordenker, ein MEMORANDUM zu einer alternativen Wirtschaftspolitik zu verfassen. Nach der Rückkehr aus dem Süden Frankreichs wurde auch ich in den Ideenimport eingebunden. Zur Erinnerung: 1975 brach die Wirtschaft ein, die Arbeitslosigkeit stieg. Das erste MEMORANDUM richtete sich gegen die damals kreierte neoklassische Parole von den steigenden Gewinnen zu Lasten der Löhne, die morgen Investitionen und übermorgen Arbeitsplätze schaffen sollen. Diese Grundkritik gilt bis heute.
Es wäre anmaßend, an dieser Stelle das gesamte wissenschaftliche und politische Werk von Herbert Schui zu bewerten und zu würdigen. Deshalb nur der Hinweis auf drei Themen, die dieser Ökonom vorangetrieben hat:
- Er forschte über die Grundfragen der Anatomie des Kapitalismus und entwickelte die Theorie von Karl Marx wirklichkeitsverankert weiter. Dafür steht seine Publikation „Ökonomische Grundprobleme des entwickelten Kapitalismus“.
- Während seiner gesamten wissenschaftlichen Tätigkeit konzentrierte er sich auf die Analyse der monopolistischen Konkurrenz mit ihren negativen Folgen für den Wettbewerb, die Gesamtwirtschaft sowie die politischen Machtverhältnisse. Dabei leistete er Pionierarbeit zur empirischen Bestimmung des Monopolisierungsgrads in Deutschland.
- Die Weiterentwicklung der gesamtwirtschaftlichen Analyse nach der Theorie von John Maynard Keynes hat er erfolgreich vorangetrieben. Sein Erkenntnisinteresse galt der Frage, wie ein Marktsystem auf einzelwirtschaftlicher Rationalität zur gesamtwirtschaftlichen Irrationalität in Form von Krisen führen kann. Dabei hat er auch die Verteilungsfrage in der Tradition von Michael Kalecki und Nicholas Kaldor berücksichtigt.
Herbert Schui war ein Kämpfer vor allem gegen die Mythenbildung der vorherrschenden Wirtschaftswissenschaft. Gelegentlich unterstrich seine Lautstärke den unerbittlichen Einsatz gegen affirmatives Denken. Sein Tod sollte zum Anlass genommen werden, sein Werk zu studieren. Dann könnte die Lücke, die er hinterlässt, kleiner werden.