Tarifkonflikt öffentlicher Dienst Bund und Kommunen
Kurzfassung in der Frankfurter Rundschau vom 20.02.2023:
________________________________________
Lohnverhandlungen sind derzeit auch noch wegen der mehrfachen, sich wechselseitig verstärkenden Krisen nicht einfach. Dennoch gibt es im Kern Anforderungen an die Tariffindung, die unter dem aktuellen Multiproblemdruck nicht über Bord geworfen werden sollten. Dies gilt ebenso für den öffentlichen Dienst, dessen Beitrag zur ökonomischen Wertschöpfung und sozialen Stabilität nicht erst seit der Corona-Krise unübersehbar ist. Jetzt lautet die Forderung der Gewerkschaften an den Bund und die Kommunen, für die Laufzeit von einem Jahr die Arbeitsentgelte um 10,5% zu erhöhen, jedoch einen Mindestanstieg über 500 € zu sichern. Die Ausbildungsvergütungen und Praktikantenentgelte sollen um 200 € monatlich angehoben werden. Ist das gegenüber der Not vieler öffentlicher Haushalte zu verantworten? Zur Antwort braucht es die Bereitschaft, frei von der grundsätzlich neoliberalen Abwertung öffentlicher Dienstleistungsproduktion die Lage der Beschäftigten mit ihrem Beitrag zur gesellschaftlichen Wertschöpfung zu begreifen.
Für wen wird verhandelt?
Ver.di führt die Verhandlungen über den Tarifvertrag im öffentlichen Dienst (TVöD) beim Bund und den Kommunen gemeinsam für GdP, GEW, IG BAU sowie dem „dbb beamtenbund und tarifunion“. Betroffen sind rund 2,5 Millionen Beschäftigte im öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen. Von dem Tarifabschluss betroffen sind u.a. die Berufe in den Produktionsbereichen: Müllwerk, Erziehung (vor allem Schulen und Kitas). Krankenpflege, Busangebote, Altenpflege, Klärwerke, Försterei, ärztliches Angebot. Nach den Vorstellungen der Gewerkschaften soll das Tarifergebnis zeit- und wirkungsgleich auf Beamtinnen und Beamte, Richterinnen und Richter, Soldatinnen und Soldaten sowie auf Versorgungsempfängerinnen und –empfänger übertragen werden.
Aktuell steht bei der Tarifforderung der massive Verlust an Kaufkraft durch die hohe Inflation im Mittelpunkt. Dazu kommt die Tatsache, dass die dadurch erzeugten Wohlstandsverluste bei den unteren Einkommensbeziehern wegen des hohen Anteils der Kosten für Energie und Nahrungsmittel im Warenkorb mehr belasten als bei Einkommensstarken. Zum Ausgleich dieser sozialen Ungerechtigkeit durch Inflation fordern die Gewerkschaften einen Mindestbetrag von 500 € mehr an Lohn.
Gegenüber der 10,5%-Forderung propagieren die marktfundamentalistischen Hardliner eine Lohnpause. Dadurch würden sich die Existenz belastenden, realen Verluste der Arbeitseinkommen besonders auf die gestressten Beschäftigten im öffentlichen Dienst konzentrieren. Dagegen reicht der Vorschlag von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) einer abgabenfreien Einmalzahlung auch nicht aus. Denn es geht um die tabellenwirksam gewollten Lohnerhöhungen als Basis für die künftige Lohnentwicklung. Auch wegen des Wettbewerbs um Arbeitskräfte, die Beschäftigten beim Bund und den Kommunen dürfen nicht von den Bedingungen der marktbezogenen Privatwirtschaft entkoppelt werden. Tarifpolitik ist keine Schönwetterveranstaltung. Jetzt kommt es darauf an, per Tarifpolitik für „gute Arbeit“ zur Motivation der arg belasteten Beschäftigten beizutragen. Hinzu kommt die Stärkung der Binnenwirtschaft durch kaufkraftfähiges Einkommen auch im öffentlichen Dienst.
Selbstverständlich orientiert sich die Tarifforderung an den Bund und die Kommunen an der Entwicklung der den realen Wohlstand mindernden Inflationsrate vor allem im letzten Jahr. Die für dieses Jahr vorliegenden Prognosen gehen insgesamt von einem Geldwertverlust bis 7 Prozent aus. Einfluss auf die Tarifforderung hat aber auch der dringliche Nachholbedarf wegen der vorangegangenen Reallohnverluste: Nach den Reallohnverlusten 2020 und 2021 sind die Nominallöhne im vergangenen Jahr für die Gesamtwirtschaft mit 3,4% gestiegen. Die Inflationsrate von 7,9 % hat jedoch die realen Einkommen um 4,5% dezimiert. Für die Beschäftigten beim Bund und bei den Kommunen sind infolge des für 28 Monate festgeschriebenen letzten Tarifvertrags von 2020 im Jahr 2022 die Entgelte letztmalig um 1,8% erhöht worden. Wegen der steigenden Inflationsrate kam es zu deutlichen Reallohnverlusten. Der aktuellen Tarifpolitik stellt sich also die Aufgabe, die aufgestauten Verteilungsverluste der Beschäftigten zu reduzieren. Die Sorge, durch diese Lohnpolitik könne ein weiterer Inflationsanstieg folgen, ist unbegründet. Nicht die Lohnpreis-Spirale, sondern die durch monopolistische Unternehmen durchgesetzte Preis-Preis-Spirale ist das Problem. Es droht auch keine inflationstreibende Übernachfrage. Vielmehr muss die binnenwirtschaftliche Nachfrage durch die gerechte Verteilung der Löhne und Gewinne gestärkt werden. Schließlich gilt es, heute auch die Rechnung für den Verlust an guter Arbeit im öffentlichen Dienst durch andauernde Einsparrunden zu begleichen. Die Lohnformel dient dazu, den Abstand gegenüber der Privatwirtschaft abzubauen und den öffentlichen Dienst für Fachkräfte attraktiv zu machen.
Grobe Schätzungen gehen von einer Belastung der Kommunen durch die Tarifforderungen mit über 15 Mrd. € aus (beim Bund rund 1,4 Mrd. €). Niemand bezweifelt, viele Kommunen leiden unter defizitären Budgets. Mit der Ablehnung der gewerkschaftlichen Lohnforderung die Verantwortung für die Haushaltskrise den Beschäftigten zuzuschieben, erinnert an einen Trugschluss. Vielmehr müssen die Kommunen fiskalisch im System des föderalen Mehrebenenstaates besser ausgestattet werden. Zusätzliche öffentliche Investitionen zum Abbau von ausgestauten Defiziten und zum sozial-ökologischen Umbau dürfen auch nicht mangels Finanzierbarkeit auf kommunaler Ebene gestrichen werden. Die Sicherung ausreichend entlohnter Beschäftigter hat jetzt Priorität. Zum Abbau der Unterfinanzierung der Kommunen dient auch eine gerechte Steuerpolitik. So könnte mit einer Vermögensteuer, die in die Kassen der Länder fließt, die fiskalische Ausstattung der Kommunen über Zuweisungen gestärkt werden. Denn auch die Länder, die bisher ihre Haushalte durch eine unzureichende Finanzausstattung der Kommunen entlastet haben, sind in der Pflicht, deren Finanzbasis zu stabilisieren. Und der Bund muss seine Hilfen für kommunale Investitionsprogramme und die Finanzierung der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen ausbauen.
Diese Tarifrunde wird am Ende über die Anerkennung des Wertschöpfungsbeitrags der Erwerbsarbeit beim Bund und den Ländern entscheiden. Eine kluge Lösung des Tarifkonflikts zugunsten der Attraktivität der Arbeit im öffentlichen Dienst lohnt sich!